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Archiv-Artikel

Der Mann in Weiß

PAPSTBESUCH Benedikt XVI. besucht vier Tage lang Deutschland. Das politische Berlin huldigt dem Papst. Seiner Rede im Bundestag bleiben zahlreiche Abgeordnete fern

VON PHILIPP GESSLER UND ANJA MAIER

Draußen vor dem Bundestag wehen die weiß-gelben Fahnen des Vatikans. Drinnen tritt ein kleiner alter Mann in weißer Soutane und roten Schuhen ans Rednerpult. Er räuspert sich und sagt, es sei ihm „eine Ehre und Freude, vor diesem Hohen Haus zu sprechen“, dem er „einige Gedanken über die Grundlagen des freiheitlichen Rechtsstaats vorlegen“ möchte. Nun denn.

Papst Benedikt XVI. ist schon zum dritten Mal auf Deutschlandreise, aber dies hier ist sein erster offizieller Besuch. Vormittags hat er sich mit Bundespräsident Christian Wulff und der Kanzlerin getroffen. Im Garten von Schloss Bellevue gibt es neben netten Worten für den Staatsgast einen ersten interessanten Akzent dieses Besuchs. Bundespräsident Christian Wulff fragt: „Wie barmherzig geht die Kirche mit Brüchen in den Lebensgeschichten von Menschen um?“ Eine indirekte Aufforderung, dass sie auf wiederverheiratete Geschiedene zugehen möge, denen die katholische Kirche die Kommunion verweigert. Wulff ist selbst katholisch und in zweiter Ehe verheiratet.

Vor dem Parlament hat der Papst eine halbe Stunde Redezeit. In diesem Saal, wo sonst die Abgeordneten in gedeckten Anzügen und Kostümen das Tagesgeschäft erledigen, ist der rüstige Herr in Weiß ein ungewöhnlicher Anblick. Die Atmosphäre ist aufgeladen wie vor einer wichtigen Theaterpremiere, die Erwartungen riesig. Er solle etwas zum Missbrauch in der katholischen Kirche sagen, haben Politiker und Interessenvertreter zuvor gefordert; er möge die Todesstrafe verurteilen, etwas Kluges zur Ökumene sagen. Andere wiederum fordern Respekt für den Gast, Offenheit, Toleranz. Alles, weil da vorn ein Mensch in ungewohnter Aufmachung spricht.

Das sehen manche Abgeordnete anders. Höchstens die Hälfte der Linken-Abgeordneten ist gekommen, bei den Grünen fehlt etwa jeder Vierte, und auch bei der SPD bleiben einige Plätze leer. Für die Ferngebliebenen ist der Papst kein Staatsgast, sondern geistliches Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche, sein Auftritt im Bundestag verletzt ihrer Meinung nach das Gebot der religiösen Neutralität des Staates. Von den 620 Abgeordneten sind 256 konfessionslos oder gehören anderen Glaubensrichtungen an.

Denen, die hier sind, und denen, die weggeblieben sind, sagt der Gast zweierlei: „Die Einladung zu dieser Rede gilt mir als Papst, als Bischof von Rom, der die oberste Verantwortung für die katholische Christenheit trägt.“ Jetzt könnten die ersten Abgeordneten den Saal verlassen. Sie tun es nicht – bis auf den Grünen Christian Ströbele. Dann legt der Papst nach, die Einladung anerkenne auch „die Rolle, die der Heilige Stuhl in der Staaten- und Völkergemeinschaft“ habe. Es ein versöhnliches Angebot zum Sitzenbleiben.

Der Papst spricht mit seiner hohen Altmännerstimme, kaum moduliert. Über Europa, das zusehends „in einen Status der Kulturlosigkeit gerückt“ werde. Eine sich exklusive gebende Vernunft ohne höheres geistiges Wesen „gleicht Betonbauten ohne Fenster, in denen wir uns Klima und Licht selber geben“. Auf gesellschaftliche Debatten wie PID und Stammzellenforschung bezogen warnt er, dass der Mensch sich heute „selbst manipulieren und Menschen vom Menschsein ausschließen“ könne. Zur verantwortlichen Entscheidung über Leben und Tod zählt für ihn immer auch „die schöpferische Vernunft Gottes“.

Als Beispiel für die gelungene Verbindung zwischen politischer Verantwortung und Schutz der Schöpfung spielt er irritierenderweise auf die Grünen an, „jene ökologische Bewegung in der deutschen Politik seit den 70er Jahren“. Die sei „ein Schrei nach frischer Luft gewesen“. Applaus von den Grünen, und der Papst sagt: „Es ist wohl klar, dass ich hier nicht Propaganda für eine bestimmte politische Partei mache.“ Gelächter. Als er „Der Mensch macht sich nicht selbst“ sagt, klatschen Liberale und Konservative. Jeder versteht, was er begreifen und erkennen möchte. Von draußen gleißt die Sonne bis ins Plenum. Es ist ein guter, demokratischer Moment des Parlamentarismus.