Das Eigenleben der Bilder

ZEUGNISSE Das Interesse an der amerikanischen Schriftstellerin und Regisseurin Susan Sontag ist bis heute ungebrochen. Das Arsenal würdigt sie mit einer Filmreihe

Kates’ Film ist eindringliches Beispiel und gleichsam Beweis für die Sogkraft Susan Sontags

VON CAROLIN WEIDNER

Es sind nicht nur Susan Sontags (1933–2004) Schriften, die einen Grundstock zum Denken über das Bild generierten – „On Photography“ (1977) etwa oder „Fascinating Facism“ (1974), eine Abhandlung über Leni Riefenstahl, entstanden, als diese in den USA gerade eine enorme Rehabilitierung erfuhr, sind längst Bestandteile eines ästhetischen Kanons. Sontag hat sich als Regisseurin auch selbst an einigen Filmen versucht, darunter zwei Spielfilme und mehrere Essayfilme. Das Arsenal zeigt nun in einer Filmschau „Susan Sontag Revisited“, kuratiert von Ralph Eue, vom 20. 1. bis zum 5. 2. die knapp sechs filmischen Zeugnisse Sontags, außerdem Arbeiten Fred Kelemens („Verhängnis“, D 1994) und D. A. Pennebakers (Town Bloody Hall, USA 1979), ebenso wie den Dokumentarfilm über Susan Sontag, „Regarding Susan Sontag“ (USA 2014) von Nancy Kates. Gerade Letzterer hatte im September 2014 auf eindrucksvolle Weise deutlich werden lassen, wie ungebrochen das Interesse an der Person Sontag ist. Als dieser nämlich als Doku.Arts-Eröffnungsfilm im Zeughauskino lief, platzte der gar nicht mal so kleine Raum aus allen Nähten.

Dabei war Kates’ Film selbst eindringliches Beispiel und gleichsam Beweis für die Sogkraft Sontags. „Regarding Susan Sontag“, ein Film, der sich ausschließlich aus Footage-Material zusammensetzt, ist einerseits Dokument des Sontag’schen Hangs zur Selbstinszenierung, aber auch Beleg dafür, wie effektvoll jene Inszenierung auf Außenstehende wirkte und wirkt – nicht zuletzt auch auf Nancy Kates. Dabei kann ihr Film nicht nur als intime Einführung verstanden werden (auf die Darstellung von Sontags Liebesleben konzentriert sich der Film gern und ausführlich). Durch den massiven Einsatz von Archivmaterial knüpft er auch leicht an die anderen Filme der Arsenal-Reihe an. So werden einige von Warhol gemachte Screen Tests mit Sontag nicht nur als Vorfilme der beiden in Schweden realisierten Spielfilme Sontags „Duett för kannibaler“ (Schweden 1969) und „Bröder Karl“ (Schweden 1971) gezeigt. Ihrem Entstehungsprozess kann man in Kates’ Film beiwohnen, wenn Sontag sich selbstbewusst mit Sonnenbrille und Zigarette in Szene setzt.

Jene Fotogenität erklärt natürlich nicht die Popularität Sontags. Obgleich es eine Irrtum wäre, den Katalysatoreffekt zu unterschlagen, der zweifelsohne mit ihr zusammenfällt. Was Sontags Arbeit aber produktiv gemacht hat, ist nicht allein mit den Good Looks zu begründen. Es hat mit der Art und Weise zu tun, wie sich Sontag ihren Sujets genähert hat. Sujets, dessen Teil nicht zuletzt auch sie selbst gewesen ist. In einem Tagebucheintrag von 1958 schreibt die junge Frau: „Nichts hält mich davon ab, Autorin zu sein, außer Faulheit (?). Warum ist das Schreiben mir so wichtig? Vor allem wegen meines Egoismus, nehme ich an. Ich möchte nämlich diese Rolle der Autorin spielen, nicht weil es etwas gibt, was ich sagen muss. Aber warum nicht auch das?“ Die im Hanser Verlag erschienenen Tagebuchaufzeichnungen Sontags zwischen 1964 und 1980 tragen das Zitat „Ich schreibe, um herauszufinden, was ich denke“ zum Titel. Und zu einem gewissen Grad lässt sich diese Aussage auch auf Sontags eigene Filme übertragen, besonders auch auf den Essayfilm „Promised Lands“ (USA 1974).

„Promised Lands“ bebildert eine Reise durch Israel, kurz nach Beendigung des Jom-Kippur-Kriegs. Der Film ist im besten Sinne unguided, von beobachtender Natur (nur in der Darstellung Juval Ne’emans und Yoram Kaniuks wechselt Sontag in den konservativen Talking-Heads-Stil). Ansonsten wandert ihre Kamera intuitiv, verfolgt ältere Herrschaften durch Gassen, bricht ab, montiert die Aufnahmen mit sandigen Böden und verlassenen Panzern. In „Promised Lands“ finden sich auch Bilder verstümmelter Leichen. Fortan meint man sie auch im Steinrelief auszumachen. Es ist das sonderbare Eigenleben der Bilder, um das es in „Promised Lands“ geht, und vielleicht ist es kein Zufall, dass Sontag zeitgleich auch an einem Text über diese Wirkung der Bilder schrieb: nämlich an „On Photography“.

■ Susan Sontag Revisited: Kino Arsenal, Potsdamer Straße 2, 20. 1. bis 5. 2. 2015, www.arsenal-berlin.de