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Archiv-Artikel

„Die Kirchen leiden große Not“

Immer weniger Gläubige gehen hin, und für ihren Erhalt spenden will das Volk kaum. Trotzdem seien Kirchen, denen der diesjährige „Tag des offenen Denkmals“ gewidmet ist, erhaltenswert, sagt der Hamburger Denkmalschützer Frank Hesse

FRANK HESSE, 59, Architekt, Stadtplaner und Denkmalpfleger, ist seit 2006 Chef des Denkmalschutzamts Hamburg.

INTERVIEW: PETRA SCHELLEN

taz: Herr Hesse, warum haben Sie für das unchristliche Hamburg den Schwerpunkt „Kirchen“ gewählt? Fahren Sie jetzt mit auf dem spirituellen Trip, der uns seit Papst und Dalai Lama erfasst hat?

Frank Hesse: Nein, gar nicht. Das Motto des Tages des offenen Denkmals wird alljährlich von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz ersonnen. Wir Hamburger haben das allerdings gern aufgegriffen, weil das Thema derzeit sehr virulent ist.

Sie meinen die Umwidmungen von Kirchen.

Ja, und die Probleme bei ihrer Erhaltung. Denn die Hauptkirchen leiden ja große Not. Wir brauchen noch viel mehr Spenden, als bisher zusammenkamen.

Wenn das Volk die Kirchen nicht mehr will: Wäre es dann nicht sinnvoll, sie abzureißen?

Nein. Die Kirchen sind wichtige Zeugnisse historischer Baukultur. Denn sie sind von engeren Funktionsbindungen freie Gebäude, in denen sich architektonische Zeitströmungen besonders deutlich manifestieren. Bundesweit gelten rund 80 Prozent der Kirchen als Baudenkmäler. Und Baudenkmäler sind in unserer Gesellschaft im öffentlichen Interesse zu erhalten.

Stehen alle 44 beim Hamburger Tag des offenen Denkmals vorgestellten Kirchen unter Denkmalschutz?

Nicht alle, weil es in Hamburg ein kompliziertes Unterschutzstellungssystem gibt, das mit viel Verwaltungsaufwand verbunden ist. Aber viele von ihnen.

Wenn eine Kirche unter Denkmalschutz gestellt wird: Verpflichtet das zu restauratorischen Maßnahmen?

Nicht unmittelbar. Es bedeutet aber, dass die betreffende Gemeinde Eingriffe vom Denkmalschutzamt genehmigen lassen muss. Abgesehen davon ist der Eigentümer verpflichtet, das Gebäude in einem denkmalwürdigen Zustand zu erhalten. Das ist bei Kirchen nicht immer leicht, weil sie keinen Gewinn abwerfen, sodass die Gemeinden immer zuschießen müssen. Aber es gibt auch Unterstützung durch die Kirchenbauämter und den Kirchenkreis Alt Hamburg. Im Einzelfall gibt es auch mal Zuwendung vom Staat.

Wie viel investiert Hamburg in die Erhaltung seiner Kirchen?

Regelmäßig 200.000 bis 300.000 Euro pro Jahr. Und dieses Jahr außerplanmäßig 200 Millionen für die Hauptkirchen.

Gibt es Kirchen, die akut einsturzgefährdet sind?

Konkret einsturzgefährdet nicht. Hochgradig gefährdet ist aber die Turmfassade von St. Katharinen, die derzeit eingerüstet ist. Außerdem gibt es da Gründungsprobleme. Es wird mehrere Millionen Euro kosten, diese Kirche so zu sichern, dass sie auf Dauer stabil steht. Und am großen Turm der Hammer Dreifaltigkeitskirche führen wir gerade eine aufwendige Betonsanierung durch. An den Kosten wird sich hoffentlich der Bundesbeauftragte für Kultur und Medien beteiligen.

Wie viel Prozent Ihres Etats fließen in die Restaurierung von Kirchen?

Zwischen 20 und 35 Prozent.

Wie würden Sie den baulichen Zustand der beim Denkmalstag präsentierten Kirchen bewerten?

Insgesamt ist der Zustand so schlecht nicht. Probleme gibt es aber nicht nur bei den mittelalterlichen Kirchen, sondern auch bei denen der Nachkriegszeit. Bei der Marktkirche in Hamburg-Poppenbüttel zeigt der Beton derzeit Verschleiß- und Korrosionserscheinungen – sprich: Risse und Absprengungen. Solche Probleme sind bei Bauten der 50-er Jahre an der Tagesordnung, weil die Bauvorschriften nicht die gleichen waren wie heute.

Apropos Nachkriegskirchen: Die Kirche St. Martinus in Hamburg-Eppendorf wurde 1949 gebaut – als Teil eines Notkirchenprogramms. Was besagte das genau?

Die Evangelische Kirche hatte nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs 1949 ein Notkirchenprogramm aufgelegt, für das der Architekt Otto Bartning mehrere Typenbauten entwarf. Das waren einfache, vorgefertigte Konstruktionen – zum Beispiel die Brettbinder im Kirchenschiff von St. Martinus –, mit denen die örtlichen Architekten dann arbeiteten. Nach Bartnings Modellen wurden bundesweit 49 Kirchen gebaut. Sie waren aufgrund vorgefertigter Bauteile relativ preisgünstig und konnten schnell errichtet werden.

Der Turm von St. Maximilian Kolbe in Hamburg-Wilhelmsburg, die heute auch geöffnet wird, gleicht einem Minarett. Ein Zugeständnis an den stark von muslimischen Einwanderern geprägten Stadtteil?

Nein, das ist Zufall. Denn als die Kirche fertiggestellt wurde, gab es davon ja noch gar nicht so viele. Damals bot dieser Stadtteil vielmehr denen Wohnungen, die bei der Flutkatastrophe von 1962 obdachlos geworden waren. Unser Foto ist allerdings älteren Datums. Inzwischen ziert den Turm ein Kreuz.

Vorsichtshalber?

Da müssen Sie die Gemeinde fragen.

Bundesweiter Tag des offenen Denkmals: 8.+9.9.2007 www.tag-des-offenen-denkmals.de