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Archiv-Artikel

Cinephilie als Lebenshaltung

Sieben gegen den Mainstream: Der Filmsamstag im Kino Babylon schürft seit zehn Jahren im Bergwerk der ungewöhnlichen Bilder und zeigt, was sonst nicht zu sehen ist. Eine Initiative von FilmemacherInnen

Am Wochenende wird gefeiert im Kino Babylon: zehn Jahre Filmsamstag. Das ist eine lange Zeit für die lose Assoziation von einigen FilmemacherInnen und einem Kritiker, die monatlich einmal Filme zeigen, inklusive ihrer eigenen Werke, die es sonst nicht zu sehen gibt. Also weder in den Kinos noch im Netz oder in den Programmen von Video- oder DVD-Verleihen.

Zum Jubiläum leisten sie sich was: Sie zeigen zum Beispiel Jean Eustaches Film „Le Jardin des Délices de Jérôme Bosch“ (1979), eine antisymbolistische Beschreibung eines Gemäldes von Hieronymus Bosch, in der der Erzähler „Das Sexuelle“ überall sieht, „es ist im Auge, es ist im Rüssel des Schweins, in der Rüstung“. Dieser Film bildet zusammen mit Eustaches ungerührt strengem Dokumentarfilm „Le Cochon“ (1970) über das Schlachten eines Schweins eine interessante Möglichkeit, über Darstellbarkeit und Berührung durch Sehen nachzudenken. Am Samstag folgt mit „Stillesleben“ von Milena Gierke aus dem Filmsamstag-Stamm ein Stimmungsbild über einen Monat in der Provence – „Die Ameisen machen sich über das Brot und den Käse her, Veränderungen des Wetters, eine Wäscheleine“. Und es gibt ein Paket mit 3- bis 5-minütigen Preziosen aus der Geschichte von Filmemacherinnen, unter anderem von Maya Deren und Lotte Reiniger, die sich durch ihre Arbeit mit dem Rhythmus der Bilder auszeichnen.

Anfangs bestand die Gruppe Filmsamstag aus drei Personen, heute sind es sieben, was sich auch in interessanten Divergenzen der Programme ausdrückt. Auffallend ist ihr Gegensatz zu dem, was man heutzutage „kuratierte“ Filmprogramme nennt, die oft in thematischer Konfektionierung denken oder nach formalen Analogien aufgebaut sind.

Der Filmsamstag stellt quer durch die Epochen und Genres Elemente zusammen, deren Beziehungen sich simplen Argumentationen entziehen. Schon die drei GründerInnen kamen aus sehr unterschiedlichen Zusammenhängen: Theo Thiesmeier war Schüler bei Peter Kubelka an der Städelschule, einem legendären Filmkünstler, für den extra die Stelle für „Film und Kochen als Kunst“ geschaffen worden war. Theo Thiesmeier macht selbst Super8-Filme. Renate Sami ist Quereinsteigerin und war 1975 mit einem Film über Holger Meins in Erscheinung getreten, in dem der künstlerisch und politisch radikale Filmemacher auf eindrückliche Weise von seinen WeggefährtInnen beschrieben wird. Kürzlich hat Renate Sami ihre Super8-Tagebücher aus den 70- und 80er-Jahren neu bearbeitet, erhellende überpersönliche Porträts der feministischen und Boheme-Szene des alten Westberlins.

Ute Aurand arbeitet hauptsächlich mit der Bolex, hat an der DFFB studiert und zeigt seit Anfang der 90er-Jahre Filme von FilmemacherInnen. Gemeinsam mit Maria Lang recherchierte sie die Frauen, die an der DFFB gewesen waren. Sie zeigten deren Filme, luden sie ein und stellten ausführliches Material zur Verfügung. Später kamen zur Filmsamstagsgruppe die Super8-Filmerin und Malerin Milena Gierke, die ebenfalls bei Kubelka studiert hatte, und Karl Heil, der zusammen mit dem Maler Harald Vogl den musikalischen Punk der New Yorker Szene entdeckt hatte. Dazugekommen ist Bärbel Freund, die mit dem Maler Michael Krebber Filme gemacht hat, und schließlich noch Johannes Behringer, der 1966 zur ersten, nach einem Streik religierten Generation der DFFB-Studenten gehört hatte, was er noch immer als Initiation beschreibt. Er war Mitarbeiter bei der Zeitschrift Filmkritik und an verschiedenen literarischen Editionen beteiligt, genauso wie Übersetzer von Texten Serge Daneys.

Von Daney stammt eine Definition des Cinephilen, die sich Beringer auf der Website des Filmsamstags ausgeliehen hat: „Kinoliebhaberei, sagt er, sei eine bestimmte Haltung und Sicht der Welt, bei der der Film zu einem fast persönlichen Gegenüber werde – da könne man hineinblicken wie in einen Spiegel und wie beim Bildnis des Dorian Gray erleben, dass man zusammen altere.“

Seit einigen Jahren dokumentiert die puristische Webseite die eindrucksvollen Programme des Filmsamstag: eine unkanonisierte Filmgeschichte der besonderen Art. In der Anfangszeit klangen durch die Filmtexte oft charismatische Beschwörungen des Poetischen, inzwischen hat sich das durch größere Heterogenität der Gruppe, die die Programmverantwortung paritätisch unter sich aufteilt, geändert.

MADELEINE BERNSTORFF

„10 Jahre Filmsamstag“, 8. + 9. September, 18 + 20 Uhr, im Studiokino Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz. Programm unter www.filmsamstag.de