DER DEUTSCHE FUSSBALL UND DIE ANSCHLÄGE VON PARIS
: Wir sind nur Sport

Über Ball und die Welt

MARTIN KRAUSS

Wolfsburg trauert, und mit dem VfL wähnt sich die ganze Bundesliga betroffen. Schließlich ist der Fußballprofi Junior Malanda bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Ja, das ist traurig, und doch vermitteln die Bilder der Anteilnahme, der Bestürzung, von angezündeten Kerzen, abgelegten Blumen, hilflos bekritzelten Zetteln und den über den Zaun gehängten Schals, die auf den Sportseiten der Zeitungen und, noch mehr, in den sozialen Medien gezeigt werden, vor allem diese Botschaft: Der Malanda, das ist unser Paris. Je suis Junior.

Dabei hat es fußballerische Anteilnahme an den Morden von Paris, den Getöteten bei Charlie Hebdo und im Hyper Cacher, gegeben: in Frankreich, in Spanien, in England, in Italien, auch in Deutschland. Aber viel Anteilnahme war es nirgends: Größere Aufmerksamkeit erreichte lediglich ein Mannschaftsfoto des FC Bayern München mit dem Hashtag #jesuischarlie. Ganz wenig Resonanz erzielte eine Pressemitteilung von Hertha BSC, man wolle sich auch der Solidaritätsbewegung anschließen. Immerhin, der FC St. Pauli rief mit zu einer Trauerkundgebung auf.

All in all präsentieren sich Deutschlands Kicker in ihren Trainingslagern und bei ihren Vorbereitungsspielen als die unbeschwerten, netten Kerle, die mit der bösen Welt da draußen nichts zu tun haben und nichts damit zu tun haben wollen. Nur wenn, wie Junior Malanda, einer aus dieser stets heiteren Sonnyboyclique verunglückt, wird getrauert.

Es ist eine Eigenwelt, die sich der Sport da gebaut hat. Worüber man sich freut, hat mit der Gesellschaft nichts zu tun, worüber man trauert, auch nicht. Die Eigenwelt Sport wird wacker verteidigt – von Verbänden wie dem DFB oder der Fifa, von Fans und Journalisten: Wenn ein Stadionsprecher irgendeinen Bürgermeister begrüßt, gibt es regelmäßig Pfiffe von den Fans. Wenn Nazis auf den Rängen gesichtet werden, wird von den Klubs und den sie nachäffenden Sportjournalisten gesagt: Das hat mit Fußball nichts zu tun, das sind nur sogenannte Fans, das sind Bilder, die wir hier nicht sehen wollen. Und DFB und Fifa untersagen konsequent alles, was irgendwie mit Politik zu tun haben könnte.

Als ob der Fußball mit seinen Vereinen, seinen Fans, seinen Regeln, ein Himmelsgeschenk sei, als ob der Umstand, dass jeder Fußball spielen darf, nicht erst erkämpft werden musste. Bis heute drückt sich alles, was diese Gesellschaft gut oder schlecht macht, auch im Sport aus: wie mit Homosexualität umgegangen wird, wie Männer und Frauen miteinander leben, dass Migranten teilhaben können, wie angebliche Sicherheitstechnologie zur Kontrolle öffentlicher Räume eingesetzt wird und wie Menschen mit anderer Hautfarbe wahlweise geschmäht oder respektiert werden. All das steckt im Sport.

Auch der islamistische Terror macht vor dem Fußball nicht Halt, wie jeder wissen könnte, wenn er es denn wollte, und wie die taz Anfang der Woche berichtete (aber niemand sonst schrieb darüber, weil Mord und Terror bekanntlich zur Politik gehören und nichts mit Sport zu tun haben – wir kennen die Leier).

Und wenn die Tatsache, dass Sport immer Teil des politischen und gesellschaftlichen Systems ist, überhaupt nicht mehr zu übersehen ist, etwa bei rassistischen Ausschreitungen im Stadion, dann melden sich gewiss Schlauberger zu Wort, die vor einer „Instrumentalisierung“ warnen und einen „Missbrauch“ des Sports beklagen – als ob der Sport nicht selbst politischer Akteur wäre.

Wer die Eigenwelt des Sports unbedingt retten will, dem ist die Illusion einer unbefleckten Leibesbetätigung heilig. In Wirklichkeit aber lebt der Sport das, was Islamisten hassen: Liberté, Égalité, Fraternité!