: Die Fußball-Oper
Englands Nationalcoach McClaren beim 3:0 über Israel ausnahmsweise nicht Schurke und Depp in Personalunion
LONDON taz ■ Am Samstag wurden in Wembley vor dem Anpfiff ausnahmsweise drei Hymnen gespielt. Neben „Ha tikvah“ („Die Hoffnung“) von den israelischen Gästen und dem in Anbetracht der prekären Lage in der EM-Qualifikation passenden „God save the Queen“ schmetterte auch nicht ganz zufällig Lucianos Pavarottis „Nessun Dorma“ durch das Stadion. Das Opern-Stück wurde zu Ehren des kürzlich verstorbenen Tenors gespielt und hat darüber hinaus als inoffizielle WM-Hymne von Italia 90 einen speziellen Platz in der englischen Fußballmythologie: Das Erreichen des Halbfinales in Turin markierte Englands größten Erfolg seit dem Gewinn der Weltmeisterschaft 1966 und leitete die von den Pay-TV-Millionen angeschobene Renaissance des Sports auf der Insel ein. Optimisten wie der penetrant positiv denkende Nationaltrainer Steve McClaren versprachen sich von der Puccini-Arie nicht weniger als ein Signal für den großen Aufbruch; der Rest der Besucher hoffte, dass nessun dorma, „keiner wird schlafen“, zumindest als Motto für das Match gelten können würde.
Eine Wiedergeburt von McClarens England möchte man angesichts des ungefährdeten 3:0-Sieges gegen ängstlich und unkonzentriert spielende Israelis noch nicht attestieren, doch immerhin wurde der zuletzt galoppierende Verfall gestoppt. Die ersatzgeschwächte Truppe zeigte auch ohne David Beckham (LA Galaxy), Peter Crouch (FC Liverpool), Owen Hargreaves (Manchester United) und Frank Lampard (FC Chelsea) ihre beste Leistung seit McClarens 4:0-Auftaktsieg gegen Griechenland vor 13 Monaten. Besonders der Rückgriff auf den zuletzt in der Europameisterschaft 2004 eingesetzten Emile Heskey erwies sich als geeignetes Mittel gegen die vor allem körperlich unterlegenen Besucher: Der Stürmer von Wigan Athletic zeigte die aus der Liga gewohnte Mischung aus bulliger Effizienz und technischen Unzulänglichkeiten, das reichte schon aus. Emile William Ivanhoe Heskey, der meistverspottete Nationalspieler der letzten Jahre, wurde im neuen Wembley tatsächlich zu McClarens Traumprinzen und auch ohne Torerfolg zum Matchwinner.
Michael Owen hatte sich dem Vernehmen nach bei McClaren für die Aufstellung seines alten Kameraden starkgemacht und profitierte am meisten von Heskeys ungelenker Kraft: Der Angreifer von Newcastle United sorgte nach Shaun Wright-Philips’ 1:0 (20.) mit einem feinen Halbvolley aus der Drehung die Entscheidung. (49.) Heskey hatte ihn freigeblockt. „Emile ist ein super Spieler. Und jeder weiß, was ich drauf habe“, sagt Owen mit typischer Bescheidenheit. Die Mannschaft von Dror Kashtan war längst geschlagen, als Verteidiger Micah Richards (Manchester City) mit einem Kopfball den dritten Treffer beisteuerte. Der holländische Schiedsrichter Peter Vink hatte ein Foul von Owen an Torhüter Dudu Awat übersehen.
England hat die Qualifikation mit 17 Punkten auf dem dritten Tabellenplatz in der eigenen Hand; ein Sieg gegen Russland im Heimspiel am Mittwoch würde den zweiten Platz in der Tabelle und ein wenig Verschnaufpause für den weiter kritisch beäugten „Big Mac“ (The Sun) auf der Trainerbank bedeuten. Am Freitag hatte ihn der Boulevard schon in metaphorische Nähe zum unglücklichen Vorgänger Graham „Oberrübe“ Taylor, der Englands Scheitern in der WM-Qualifikation 1993 verantwortete, gerückt. Erst nach dem Erfolg durfte sein Lächeln endlich aufrichtig sein: „Die Russen werden das Video sehen und sich bestimmt nicht auf den Ausflug ins Wembley freuen“, behauptete er kess.
Ganz ohne Buhrufe kam die Partie am Samstag allerdings auch nicht aus. Da der beim Volk ungelittene Lampard fehlte, wurde diesmal David Bentley, 23, ausgepfiffen. Der Mittelfeldspieler von den Blackburn Rovers hatte im Sommer die U21-EM boykottiert und war daraufhin von Teilen der Presse als Verräter bezeichnet worden. „Die Reaktion der Fans enttäuscht mich“, sagte McClaren, aber in ihm überwog deutlich die Erleichterung: einmal nicht die Rolle des Schurken zu besetzen, die jede englische Fußballoper verlangt, war eine sehr schöne Erfahrung für ihn. RAPHAEL HONIGSTEIN