grüne in der opposition: Taktik schlägt Inhalt
Viel ist in diesen Tagen die Rede davon, wie sehr der angebliche Justizskandal der Senatorin beschädigt. Doch Gisela von der Aue (SPD) ist nicht die Einzige, die unter der Möchtegernaffäre leidet. Nehmen wir nur die Grünen, die die ambitionierteste Oppositionsfraktion im Parlament stellen. Sie führen gerade in Perfektion vor, wie man populistische Phrasen drischt, nebenbei das eigene Programm verrät und sich so bei der eigenen Klientel unglaubwürdig macht.
KOMMENTAR VON ULRICH SCHULTE
In ihrem Ehrgeiz, die Justizsenatorin aus dem Amt zu jagen, ist den grünen Fachpolitikern offenbar jedes Augenmaß abhandengekommen. Mit ihren Polemiken gegen den „schwunghaften Drogenhandel“ in der Justizvollzugsanstalt führen sie den Kurs ihrer Partei bei der weichen Droge Haschisch ad absurdum. Mit ihrer Billigung engmaschiger Stahlnetze vor allen Fenstern sorgen sie für dunkle Zellen, also für eine erhebliche Verschlechterung der Haftbedingungen. Mit ihrem pauschalen Wettern gegen „unhaltbare Zustände im Knast“ stützen sie die wahllosen Repressionen, die die Verwaltung in ihrer Panik veranlasst, etwa das Wegnehmen von Gebetsteppichen.
Nun sind die Grünen weder zu Hardlinern mutiert, noch schlucken sie Ecstasy-Tennisbälle vor Innenausschusssitzungen. Ihr Verhalten zeigt vielmehr, wie groß die Bereitschaft der Partei ist, inhaltliche Positionen aus taktischen Erwägungen zu schleifen. Anders gesagt: Wenn sich eine Justizsenatorin abschießen lässt, wird jeder Vorwurf, jede Unschärfe in Kauf genommen. Und es ist den Handelnden egal, ob sie den bisherigen Argumenten diametral widersprechen. Diese grüne Strategie zielt auf bürgerliche, CDU-nahe Schichten mit Ökobewusstsein, das Kuscheln mit Union und FDP öffnet gleichzeitig Optionen jenseits der SPD. Der aktuelle Fall zeigt allerdings das große Risiko dieser Kombination: Andere Wähler wenden sich mit Grausen ab.
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