Die Sorgenkinder kommen

BILDUNGSBERICHT In Hamburg werden die Schülerzahlen bis 2020 steigen – und mit ihnen die Zahl der Schüler aus bildungsfernen Elternhäusern

■ Der Anteil der Bildungsausgaben am Brutto-Inlands-Produkt beträgt seit 15 Jahren unverändert drei Prozent. Etwa ein Viertel des Gesamthaushaltes wird für Schulen und Hochschulen ausgegeben.

■ Wieder etwas jünger sind die Lehrer. Ihr Durchschnittsalter sank von 48,6 Jahren (1999) auf 46,9 in 2010. Jeder zweite arbeitet in Teilzeit. Der Frauenanteil liegt bei 65 Prozent.

■ Die Zahl der Kitas hat sich seit 2002 von rund 730 auf 1.000 erhöht. Die Fördermittel stiegen im gleichen Zeitraum von 296 auf 450 Millionen Euro.

In Hamburg ist vieles anders – das ist das Fazit des neuen Bildungsberichts 2011, den SPD-Schulsenator Ties Rabe am Dienstag vorlegte. Andernorts sinken die Schülerzahlen, hier aber werden sie bis 2020 steigen. Und mit ihnen auch der Anteil von Kindern aus bildungsfernen Elternhäusern. Da heute beinahe jedes zweite Kleinkind Migrationshintergrund habe, bahne sich ein „sozialer Strukturwandel der Schulbevölkerung“ an.

Rabe sprach von „Sorgenkindern der Schulpolitik“. Es seien mehr Anstrengungen nötig, um ihnen „neue Chancen zu eröffnen“. Die Frage, ob er dafür auch mehr Geld reklamiere, verneinte er. Hamburg liege mit den Bildungsausgaben pro Kind bundesweit an der Spitze. Man müsse „Ressourcen an den Stellen konzentrieren, wo sie gebraucht werden“.

Der Bildungsbericht wird alle zwei Jahre vom Institut für Bildungsmonitoring (IfBM) der Schulbehörde erstellt. Er fasst auf 360 Seiten Daten und Statistiken zusammen, wie beispielsweise über den Migrantenanteil. „Wir schreiten hier in Siebenmeilenstiefeln auf die 50-Prozent-Marke zu“, sagte Studienleiter Norbert Maritzen. Es gebe Hinweise auf eine „systematische Bildungsbenachteiligung“ dieser Kinder. Sie haben häufiger Sprachförderbedarf, besuchen seltener ein Gymnasium, schneiden bei Schulleistungstests schlechter ab und erzielen niedrigere Abschlüsse.

Der im Internet veröffentlichte Bericht enthält viele Grafiken, in denen stadtteilgenau die Probleme zugeordnet werden. Dort, wo die meisten Kinder mit Migrationshintergrund leben, wohnen auch die meisten armen Kinder. An anderen Orten wie in Rissen, Volksdorf oder Bergstedt liegt die Abiturquote bei 70 Prozent.

Doch auch im Hamburger Durchschnitt liegt sie mit 48 Prozent nicht schlecht. Hamburgs Schulen haben im vergangenen Jahrzehnt viel dazu beigetragen, die Bildungsbeteiligung zu erhöhen. Und wie berichtet, ging aus der jüngst veröffentlichten KESS-Studie hervor, dass dies ohne Niveauverlust geschah.

Andererseits erreichten 7,5 Prozent der Jugendlichen im Schuljahr 2010/11 keinen Abschluss. Und 8.293 Schulabgänger verbrachten das Jahr in einer Warteschleife, die nicht zu einem Abschluss führt. Die Lehrlinge, die eine Ausbildung begannen, waren mit durchschnittlich 20,7 Jahren vergleichsweise alt. Die positive Entwicklung auf dem Lehrstellenmarkt habe sich noch nicht herumgesprochen, sagte Rabe. Hier brauche man „Bewegung in den Köpfen“. KAJ