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Archiv-Artikel

Der Muezzin ruft nicht

Nach anfänglichem Widerstand wird am Samstag in Göttingen ein repräsentatives Gotteshaus eröffnet. Die Gemeinde will auch nicht-muslimischen Nachbarn Angebote machen. Besorgte Anwohner wurden durch Zugeständnisse besänftigt

UMSTRITTENE GEBETSSTÄTTEN

Immer wieder kommt es in Norddeutschland zu kontroversen Diskussionen, wenn der Bau einer Moschee ansteht. 2002 wurde vom Hamburger Bezirk Mitte ein Entwurf für eine Moschee abgelehnt, der 50 Meter hohe Minarette vorsah. 2003 gab es auch in Hannover heftige Diskussionen um den Neubau einer Moschee, bei der die Minarette im Mittelpunkt standen. In Achim bei Bremen haben Anwohner 2001 erfolgreich wegen einer möglichen Lärmbelästigung gegen den Ausbau einer Moschee geklagt. Ein häufiger Konfliktherd ist außerdem der Ruf des Muezzin. Die meisten islamischen Gotteshäuser haben von den Behörden keine Genehmigung für den Gebetsruf. 2007 forderte der Imam der Centrums-Moschee im Hamburger Stadtteil St. Georg den öffentlichen Muezzin-Ruf, fand aber kein Gehör. In einigen kleineren Städten und Gemeinden, wie etwa im schleswig-holsteinischen Neumünster, ist der Gebetsruf hingegen erlaubt. BEG

AUS GÖTTINGEN REIMAR PAUL

Die Fensterscheiben werden noch gewienert, das Weiß auf der Fassade an ein paar Stellen nachgezogen: Etliche Mitglieder der muslimischen Göttinger Ditib-Gemeinde haben in den vergangenen Tagen mit Hand angelegt, um das Gebäude bis zur offiziellen Eröffnung an diesem Wochenende richtig schmuck aussehen zu lassen.

In Göttingen ist eine der größten Moscheen Norddeutschlands entstanden. „Solche repräsentativen Moscheebauten gibt es nur sehr wenige in der ganzen Bundesrepublik“, sagt stolz Ali-Serka Sahbaz vom Ditib-Vorstand. Bei der Feier am Samstagnachmittag wollen neben hochrangigen Muslimen auch Vertreter der christlichen Kirchen und der örtlichen Jüdischen Gemeinde Grußworte sprechen. Göttingens Oberbürgermeister Wolfgang Meyer (SPD) und Ex-Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) sind ebenfalls als Gäste angekündigt.

Ditib steht für „Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion“. Der Verband, der vom türkischen Staat kontrolliert wird, gilt als gemäßigt. In Göttingen arbeitet Ditib seit Jahren am „Runden Tisch der Religionen Abrahams“ mit. Einmal im Jahr beten Christen, Juden und Muslime gemeinsam für den Frieden. In der Vergangenheit startete der Runde Tisch unter anderem eine Hilfsaktion für ein schwer krankes palästinensisches Kind. Das zwei Jahre alte Mädchen wurde in der Göttinger Universitätsklinik erfolgreich am Herzen operiert.

Der Moschee-Neubau in der Göttinger Weststadt hat nach Ditib-Angaben mehr als 1,1 Millionen Euro gekostet. Das Geld stamme aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen sowie aus dem Verkauf eines alten Gebetsraumes am Rande des Industriegebietes, erzählt Sahbaz. Die restliche Bausumme wurde über Kredite finanziert. In Göttingen sind rund 230 Familien Mitglieder von Ditib. Sie haben mit hunderten Stunden unbezahlter Arbeit beim Bau geholfen.

Die dreistöckige Moschee hat eine Kuppel und zwei Minarette mit Halbmonden auf der Spitze. Auf einer Fläche von 400 Quadratmetern gibt es ein Dutzend Räume. Die Kacheln und ein Kronleuchter wurden in der Türkei produziert. Türkische Kalligraphen fertigten die Wand- und Deckenzeichnungen an. Im Eingangsbereich plätschert ein Springbrunnen. Das Erdgeschoss ist als sozialer und kultureller Treffpunkt hergerichtet worden.

Noch vor drei Jahren hatte der Moschee-Bau in der Universitätsstadt hohe Wellen geschlagen. Besorgte Anwohner protestierten mit Unterschriftensammlungen und Leserbriefen. Sie befürchteten Parkplatzprobleme oder Lärm. Der Sprecher einer eilig gegründeten Anwohnerinitiative glaubte damals, „dass wir künftig keine Freunde und Verwandten von außerhalb einladen können, weil es keine Möglichkeit zum Parken gibt“. Ein anderer Nachbar sagte: „Die Moschee ist größenwahnsinnig, die zieht Leute von überall her an.“ Ein Gebäude mit Minaretten passe zwar „wunderbar nach Marokko oder Tunesien“, aber nicht nach Göttingen.

Ditib begegnete den Vorbehalten durch Zugeständnisse bei der Zahl der Parkplätze und der Höhe der Minarette. Anders als zunächst geplant, soll von den Türmen auch kein Gebetsruf ertönen. Mit rund 30 Stellplätzen wurde zudem deutlich mehr Parkraum geschaffen, als die von der Stadt abgesegneten Baupläne ursprünglich vorsahen.

Überdies starteten die Göttinger Muslime in der Nachbarschaft und in der Stadt eine Werbe-Offensive für sich und die Moschee. So will Ditib in dem Gebäude auch Sprach- und Alphabetisierungskurse, Nachhilfe sowie Programme zur Drogen-Prävention anbieten. „Fußballübertragungen werden natürlich auch gemeinsam angeguckt“, versichert Sahbaz. Zu Diskussionen und Gesprächen sollen Lehrer, Theologen und Vertreter der Polizei eingeladen werden. „Unser Angebot richtet sich nicht nur an Muslime“, betont Sahbaz. „Das Haus steht immer allen offen.“

In einem Nebengebäude biegen sich die Tische unter den vielen Schüsseln mit Speisen. Platten mit Kebap und Reis, Gemüse und Salaten werden herumgereicht. Kinder naschen Datteln und Baklava, eine süße Blätterteigpastete mit Nüssen. Während des Ramadan treffen sich Göttinger Muslime in der Moschee allabendlich zum gemeinsamen Fastenbrechen. Sie haben dazu auch deutsche Nachbarn eingeladen. „Viele, die ursprünglich gegen die Moschee waren, haben gefragt, ob sie noch mal kommen und sich umsehen dürfen“, freut sich Sahbaz.

Die Tafel bleibt bis zum Ende des Ramadan am 23. Oktober für alle gedeckt. Jeden Abend kümmert sich eine andere Familie um die Verpflegung. „Wir haben eine Liste ausgehängt, da haben sich alle eingetragen, die sich eine Bewirtung leisten können“, sagt Sahbaz. Dabei bleibe es jeder Familie überlassen, ob sie das Essen selbst zubereite oder von einem Restaurant liefern lasse.