Alte Nazis als Kommunistenjäger

WAHRHEIT 61 Jahre nach seiner Gründung arbeitet das Bundesamt für Verfassungsschutz seine braune Vergangenheit auf. Wissenschaftler untersuchen, wie Nazis nach dem Krieg Karriere gemacht haben

Allzu schlecht beleumundete Leute wurden als „freie Mitarbeiter“ engagiert

KÖLN taz | Dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) leistete Karl-Heinz Siemens gute Dienste. Bis ins Zentralbüro der westdeutschen FDJ hatte er sich eingeschlichen. Nach dem Verbot der KPD-nahen Jugendorganisation 1951 war er weiter dran am Staatsfeind. Bis 1953 lieferte Siemens alles, was der Nachrichtendienst über die Aktivitäten der Jungkommunisten wissen wollte. Dann stellte er sich der Bundesanwaltschaft als Belastungszeuge gegen seine einstigen Genossen zur Verfügung. Nicht wenige kostete das die Freiheit.

1960 durfte Siemens endlich offiziell beim BfV anheuern: als Oberregierungsrat in der für Linksradikalismus zuständigen Abteilung III. Dass es so lange bis zur Festanstellung dauerte, hatte einen Grund: Sein Handwerk als Kommunistenjäger hatte Siemens als SS-Obersturmführer in der Leibstandarte Adolf Hitler gelernt. Solche allzu offensichtlich schlecht beleumundeten Leute wurden vom BfV zunächst nur als „freie Mitarbeiter“ beschäftigt, „weil man die Tatsache der Belastung doch immerhin zu respektieren hatte“, wie es der langjährige BfV-Präsident Hubert Schrübbers Mitte der sechziger Jahre formulierte.

Wie konnten Antidemokraten zu Verfassungsschützern werden? Dieser Frage gehen Constantin Goschler und Michael Wala von der Ruhr-Universität Bochum in den kommenden drei Jahren nach. Die Professoren sollen die „Organisationsgeschichte des Bundesamtes für Verfassungsschutz 1950 bis 1975 unter besonderer Berücksichtigung der NS-Bezüge früherer Mitarbeiter in der Gründungsphase“ erforschen. Damit beginnt der Inlandsgeheimdienst 61 Jahre nach Gründung, seine „NS-Bezüge“ aufzuarbeiten. „Besser jetzt als gar nicht“, sagte BfV-Präsident Heinz Fromm am Dienstag bei der Vorstellung des Forschungsprojekts in der Kölner Zentrale.

Fromm versicherte, die Wissenschaftler würden „in keiner Weise von uns beeinflusst“. Goschler und Wala sollen Zugang zu allen Akten erhalten, auch den als geheim klassifizierten. Sofern sie denn noch vorhanden sind. Etliches wurde vernichtet. Was sie anschließend publizieren, werden sie allerdings erst mit der Behörde besprechen müssen. „Da wird es mutmaßlich irgendwelche Grenzen geben“, räumte Michael Wala ein.

Es gab schon einmal eine Untersuchung möglicher NS-Verstrickungen. Im Zuge eines Abhörskandals gab der BfV-Mitarbeiter Werner Pätsch 1963 an, im Bundesamt gebe es Seilschaften ehemaliger SSler. Die Regierung sah sich gezwungen, den ehemaligen Präsidenten des Oberlandesgerichts Karlsruhe, Max Silberstein, mit der Überprüfung der Vorwürfe zu beauftragen. Silberstein wurde zwar fündig, schätzte in seinem Gutachten allerdings nur 16 von insgesamt 865 Mitarbeitern als NS-belastet ein – was, wenn es denn gestimmt hätte, im Vergleich zu BKA und BND eine äußerst niedrige Quote gewesen wäre.

Der damalige Verfassungsschutzpräsident Hubert Schrübbers gehörte nicht dazu. Ihm bescheinigte Silberstein, er sei „eine voll integre Persönlichkeit“. Acht Jahre später kam raus, dass der SA-Mann ab 1939 als Staatsanwalt in politischen Prozessen drakonische Strafen für Bagatelldelikte gefordert hatte. An seiner Tätigkeit für die NS-Justiz konnte Schrübbers auch später „nichts Unsittliches entdecken“. 1972 wurde er in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Sein Nachfolger Günther Nollau war 1942 in die NSDAP eingetreten.

Schrübbers starb 1979, Nollau 1991. Auch sonst dürfte kaum ein NS-belasteter früherer Verfassungsschutzmitarbeiter noch leben. Der heutige BfV-Präsident Heinz Fromm hält das für einen Vorteil. Ohne persönliche Betroffenheiten könne man mit „größerer Gelassenheit“ den Ergebnissen von Wala und Goschler entgegensehen. PASCAL BEUCKER