Von der Bossa Nova zum Polizeichor

Die brasilianische Sängerin und Dirigentin Suely Lauar war für das Festival der Kulturen ein Glücksgriff: Zu der für dieses Jahr geplanten kulturellen Begegnung zwischen Brasilien und Rumänien trägt sie Lieder beider Länder bei

Ein gutbürgerliches Gasthaus in Alt Wilhelmsburg. Der Wirt ist befreundet mit Suely Lauar, der brasilianischen Sängerin und Dirigentin. Es ist schon halb zehn, sie hat einen vollen Terminkalender: Sie kommt von einer Probe des Musicals „König der Löwen“, morgen früh muss sie zur Schule, wo sie Musikunterricht gibt. Außerdem leitet sie verschiedene Chöre, den Harburger Polizeichor etwa und auch den Wilhelmsburger Männerchor. Der hat eine 135-jährige Tradition und ein alljährliches Grünkohlessen: Lauar ist bislang die einzige Frau, die daran teilnehmen darf.

Seit sechs Jahren ist sie in Hamburg. In Brasilien, sagt sie, ist mein Boden, aber hier ist mein Herz. Eine Herzensangelegenheit hat sie auch hergebracht: ihr Mann, den sie in Brasilien kennen lernte, wo der aus Aachen stammende Dirigent für zwei Jahre ein Orchester leitete. In Hamburg ist er jetzt musikalischer Direktor von „König der Löwen“. Sie haben zwei Kinder, die zweisprachig aufwachsen. Als ihr Sohn auf der Schule, an der Lauar arbeitet, eingeschult wurde und wider die Gewohnheit deutsch mit der Mutter sprechen sollte, fragte er: Muss ich dich jetzt auch zu Hause Frau Lauar nennen? Suely Lauar weiß immer noch nicht recht, ob sie darüber lachen oder weinen soll.

Eine Familie, das hätte sie sich früher nicht vorstellen können. Als Chorsängerin und Solistin durchreiste sie jahrelang die Welt. In Berlin ist sie auch gewesen, und zwar gerade, als die Mauer fiel. Dann studierte sie Klavier und Chorleitung an der Musikhochschule Minas Gerais, in einer Stadt mit einem Namen, als sei er für ihr Leben erfunden worden: Belo Horizonte, schöner Horizont. Hier lernte sie nicht nur ihren Mann, sondern auch rumänische Orchester kennen und lieben: Über deren tiefen Klang, die dunklen Stimmen, gerät sie ins Schwärmen: „Die besten Chöre der Welt!“ Im Rahmen eines Workshops wurden die Dirigenten getauscht: Der Brasilianer ließ die Rumänen brasilianische, der Rumäne die Brasilianer rumänische Lieder singen.

Das war vor etwa 15 Jahren. Zum diesjährigen Festival der Kulturen wurde Lauar um einen Beitrag zur „Begegnung der Nationen“ gebeten – einem der Schwerpunkte des Festivals. Letztes Jahr waren es Polen und Mexiko, dieses Jahr sollen Brasilien und Rumänien sich auf der Bühne „Terra Musica“ und auf dem Allendeplatz begegnen. Bildende Künstler, Musiker und Dichter beider Länder werden, wie auch die Besucher, nach Gemeinsamkeiten und Fremdheiten suchen und möglicherweise einiges voneinander lernen.

Suely Lauar wird zwei Auftritte haben: einen mit klassischen rumänischen Volksliedern und einen mit brasilianischem Liedgut. Die beiden Länder begegnen sich auf diese Art in einer Person, deren Lebenslauf ohnehin schon viel von einem durchaus bezaubernden Fest der Kulturen hat.

Lieder aus Rumänien zu finden, meint Lauar, sei nicht leicht gewesen. Sie zu singen, noch schwerer: Die Töne bewegen sich ganz anders als in brasilianischer Musik, die der europäischen sehr nahe ist. Rumänische Musik ähnele eher türkischer. Die Sprache ist zwar auch romanisch, aber doch recht fern dem brasilianischen Portugiesisch. Eine rumänische Geigerin aus „König der Löwen“ übte mit Lauar die Aussprache. Die Themen der Lieder? Immer wieder die Liebe – und manchmal der Schnaps.

Mit den zwanzig brasilianischen Liedern, die sie anderntags bringen wird, versucht Lauar, eine musikalische Reise durch das riesige Land zu ermöglichen: Im Norden seien viele afrikanische Einflüsse, im Süden vor allem deutsche, da pfiffe so mancher „Alle meine Entchen“ vor sich hin. In der Mitte, woher auch Lauar kommt, ist das „Girl from Ipanema“ zu Hause: der Bossa Nova, jener einzigartig lässige Stil, der als Kind vieler Kulturen in Brasilien geboren wurde.

Lauars Leben hat auch einen ganz eigenen Stil: Sie ist durch die Welt gekommen und hat sich schließlich die Hamburger Fremde zur Heimat gemacht. Sie glaubt nicht, dass die Menschen überall gleich sind. Als sie einmal bei Aldi eingekauft hat, schimpfte einer „Du Negerin!“, als sie ihre Sachen nicht schnell genug vom Fließband in die Tüte steckte. Sie habe geweint, sagt Lauar, aber inzwischen packe sie ihre Sachen immer schnell genug ein. Sie habe gelernt, wie man das in deutschen Supermärkten macht.HANNES LEUSCHNER