: Barockes Welttheater
Hermaphrodit vor Kohlendepot: Ulrike Ottinger zeigt im Filmhaus Potsdamer ihre Fotografien. Wie Bilder des Barock stecken sie voller visueller Informationen
Trommelwirbel, Tusch und Vorhang auf: Sie sehen, meine Damen und Herren, King Kong und die weiße Frau. King Kong ist schön und groß, seine Augen leuchten rot, sein Körper ist aus Plastik und animiert. In der Rolle der weißen Frau nähert sich dem Monster Veruschka Gräfin von Lehndorf, berühmtes Fotomodell der Sechzigerjahre, eingewoben in ein silbern glitzerndes Trikot. Noch einmal Tusch: Jetzt ist ein gemalter Gorilla zu sehen und die Frau in seinen Armen ist die Dichterin Elfriede Jelinek. Lächelt sie? Ja, wahrhaftig ein bisschen, die Rolle der Schönen scheint ihr, die sonst immer das Biest gibt, zu gefallen.
Beide Bilder entstammen Ulrike Ottingers neuem Film „Prater“ über den alten Wiener Vergnügungspark, der seit gestern in Berlin im Kino läuft, und sie sind Teil der Ausstellung „Ulrike Ottinger“ im Filmhaus am Potsdamer Platz. Schon die Tür, durch die man die Ausstellung betritt, wirkt wie eine Schleuse in die Welt der künstlichen Wunder. Sie ist von einem breitem Rahmen aus Pappmaché mit gemalten Einhörnern und geflügelten Wesen eingefasst. Dahinter nehmen den Besucher drei Ritter in Empfang, mit Rüstungen aus Ofenrohren, Kuchenformen und Käsereiben.
Nein, man hat sich hier nicht in die Abteilung Kindermärchen verlaufen; ein Foto zeigt, wie eben jenes Tor in einer kargen Landschaft aufgebaut ist und drei Schauspieler in den Küchenrüstungen einen Dandy über diese Schwelle begleiten. Das war 1984, eine Szene, aus Ulrike Ottingers Film „Dorian Gray im Spiegel der Boulevardpresse“. Zusammen mit dem „Bildnis einer Trinkerin“ (1979) und „Freak Orlando“ (1981) bildete er die „Berliner Trilogie“ der Regisseurin. Für viele der surrealen Szenen nutzte sie Brachlandschaften und Industrieruinen der Mauerstadt als Drehorte, die ihren Bildern einen apokalyptischen Anstrich gaben. Ein Hermaphrodit spiegelt sich in den Pfützen zwischen schwarz glänzenden Bergen – „das war das Kohlendepot am Gleisdreieck, das die Stadt Berlin für Notfälle unterhielt“, erzählt Ulrike Ottinger. Und in der nassen Erde der Äcker vor der Gropius-Stadt probt eine Truppe von Artisten, die einen Traum der Trinkerin illustrieren.
Im Geschwindeschritt führt die Regisseurin einen Trupp Journalisten durch ihre Ausstellung, erzählt von der Suche nach Drehorten in Berlin, dem Engagement lokaler Artisten. Das klingt so überraschend sachlich – als ihre Filme in den Siebziger- und Achtzigerjahren ins Kino kamen, war die Rezeption vorwiegend mit ganz anderen Dingen beschäftigt. Die Aufladung der Bilder mit kunst-, literatur- und filmhistorischen Bezügen, die Künstlichkeit des Spiels, das allegorische Figurenpersonal, das mehr mit barocker Malerei denn mit Kino zu tun zu haben schien – all das lag so quer zu den Sehgewohnheiten und Erzählkonventionen, dass diese anzugreifen und aufzulösen das primäre Ziel der Filmemacherin schien.
Damals war die Inszenierung in der Fotografie noch nicht als eigenes Genre etabliert. Damals gestand der Film selten so schamlos seine Nähe zum Jahrmarkt und dem Theater wie in den Filmen von Ulrike Ottinger. Betrachtet man ihre Bilder heute, dann haben sie erstaunlicherweise kaum Patina angesetzt, sondern wirken heutigen Werken Bildender Kunst, etwa von Matthew Barney, nahe verwandt. In ihrem Interesse für die Freaks, die Ausgegrenzten, die zu Monster gemachten, den Stigmatisierten aber spiegeln sie sehr genau einen Diskurs jener Zeit wieder.
„Ich wünschte, dass man meine Bilder liest wie in der Zeit des Barock“, sagt die Regisseurin, und dem kommt das Medium Ausstellung tatsächlich entgegen. Drei Räume sind Ottingers Reisen und ihren dokumentarischen Filmen gewidmet, durch China, in die Mongolei und von einem Containermarkt in Odessa. In den Achtzigerjahren verschob sich ihr Fokus von den literarisch-mythologischen Stoffen immer mehr zu einer Erkundung der realen Welt, die nicht weniger reich an Schönheit schien.
Sehr eigen ist der Umgang der Regisseurin mit der Exotik des Anderen: Noch in den Fotografien zu „Johanna D’Arc of Monogolia“ (1988) wirkt niemand so exotisch wie die westlichen Besucherinnen, eine Riege berühmten Schauspielerinnen, die auf hohen Absätzen und in Cocktailkleidern hinter den Nomaden durch die Wiese stöckeln. Das ist eine Konstruktion, die die Künstlichkeit der Kulturbegegnung ausstellt und damit der Falle falscher Authentizitätsversprechen entgeht.
Ab dem 14. Oktober zeigt das Kino Arsenal eine Retrospektive der Filme Ulrike Ottingers. Die Ausstellung gibt allerdings schon jetzt die Gelegenheit, sich davon zu überzeugen, wie sehr Ottinger in all ihrem Denken bildende Künstlerin ist, der in mehr als einem Medium zu begegnen sich lohnt.
KATRIN BETTINA MÜLLER
Ulrike Ottinger, Filmhaus Potsdamer Straße 2, dienstags bis sonntags 10–18 Uhr, samstags 10–20 Uhr, bis 2. Dezember