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Archiv-Artikel

Toniah Reeh meditiert nervös und Islaja strahlt beunruhigende Ruhe aus

Das wird jetzt erst mal ein wenig kompliziert. Tonia Reeh hat sich, wenn sie nicht gerade mit der Gitarre und der Band Masonne Indie-Pop fertigte, im Alleingang unter dem Pseudonym Monotekktonie einen gewissen Ruf als fantasievolle Konstrukteurin von elektronischen Klängen erworben. Nun aber hat sie sich dazu durchgerungen, obwohl immer noch allein, wieder ihren Geburtsnamen zu verwenden. Ab nun aber wird’s einfacher: Denn auf „Boykiller“ beschränkt sich Tonia Reeh auf Stimme, Klavier und gelegentliche Soundeffekte. Ob elektronisch oder eher mit klassischen Instrumenten eingespielt, die Üppigkeit von einst ist auf jeden Fall Vergangenheit. Stattdessen hämmert Reeh auf die Tasten ein, klimpert dann verloren, lässt auch mal die Töne perlen, aber bewirbt sich auch nicht eben bei den Philharmonikern. Ihr Klavierspiel ist, das hört auch der Laie, nicht eben allzu intensiv in einem Konservatorium ausgebildet worden, sondern vor allem zweckmäßig. Das Klavier setzt nur bei Bedarf eigene Akzente und folgt ansonsten am liebsten ihrer Stimme, die allerdings die Melodien erst in dem Moment zu entdecken scheint, wenn sie bereits fast gesungen sind. weil Weil Reeh dabei gern wechselt zwischen großem Pathos und eher hingehuschtem Sprechgesang, entsteht zwar eine unerhörte Theatralik, aber eben auch nur selten Melodien, die sich festsetzen, erst recht nicht Songs in einem traditionellen Sinne. Aber trotz des Klavierhämmerns, trotz der beständigen Stimmungswechsel und trotz der großen Sprünge in der Dynamik entwickelt „Boykiller“ eine erstaunlich beruhigende, fast medidative Kraft. Das Ergebnis ist, sollte es so etwas geben können, beunruhigender Chillout oder nervöse New Age. Kein Musik also, der man eine große Zukunft vorhersagen möchte, aber doch immerhin etwas sehr Eigenes.

Auch Merja Kokkonen besitzt ein Pseudonym. Als Islaja arbeitet sie schon seit Längerem auf demselben Acker wie Reeh. Oder vielleicht ist es auch eher ein Schrebergarten. Der, den die in Berlin lebende Finnin bestellt, ist auf jeden Fall bunter bepflanzt. Auch sie sitzt gern mal am Klavier, auch ihr Gesang mäandert auf „Keraaminen Pää“ bisweilen orientierungslos durch Klanglandschaften, aber in denen stehen neben dem Piano eben auch viele seltsame Geräusche: waberndes Pfeifen, kreischendes Flöten, zirpendes Geklimper oder irgendwas, was entstehen könnte, wenn ein Troll sein Playmobil-Auto von einer Autobahnbrücke wirft. Oder so ähnlich. Das Ergebnis ist jedenfalls, so paradox das klingen mag, von kühler Wärme. Von beunruhigender Ruhe. Oder auch auf eine wundervolle Weise beängstigend. Wäre Islaja ein Horrorfilm, dann garantiert keine jener modernen Schlachteplatten in Blutrot, sondern einer aus den fünfziger Jahren, als der Schrecken noch so geschickt angedeutet wurde, dass er sich ausschließlich im Kopfe des Betrachters abspielte. Das waren noch Zeiten. Vielleicht keine besseren, aber garantiert nicht so komplizierte. Übersetzt bedeutet der Titel des Islaja-Albums übrigens: „Keramiktopf“. THOMAS WINKLER

■ Tonia Reeh: „Boykiller“ (Clouds Hill/Rough Trade), Record Release Party am 30. 9. im HBC

■ Islaja: „Keraaminen Pää“ (Fonal/Broken Silence)