: Mit Gießkanne, Hacke, Spaten
LERNORT Schulgärten liegen voll im Trend. Viele halten sie für eine Erfindung der DDR. Doch an Waldorfschulen gab es immer schon Gemüsebeete und Gewächshäuser
VON HEIDE REINHAECKEL
Grau ist alle Theorie, grün des Lebens goldner Baum. Was Goethe noch wusste, entdecken jetzt auch viele Schulen: Sie ergänzen das Klassenzimmer mit dem Lernort Garten. Die Wurzeln für diese Renaissance wurden in der Reformpädagogik der Weimarer Republik gelegt. Und zwar gleich zweimal. Als 1920 die Einrichtung der ersten Berliner Gartenarbeitsschule in Berlin beschlossen wird, liegt die Gründung der ersten Waldorf-Schule in Stuttgart gerade ein Jahr zurück.
Mit den Berliner Gartenarbeitsschulen entstehen außerschulische bezirkliche Arbeitsgärten. Ein Schulgarten gehört aber auch von Anfang an zur ersten Waldorfschule, die zudem als erste koedukative Gesamtschule Maßstäbe setzte. Der Unterricht mit Gießkanne, Hacke und Spaten hat sich in beiden Fällen bewährt. Die Berliner Gartenarbeitsschulen blicken 2011 auf 90 Jahre Umwelterziehung zurück – selbst wenn der Begriff erst viel später erfunden wurde. Auch in den Waldorfschulen gehört die praktische Ökologie im eigenen Garten weiterhin zur ganzheitlichen Pädagogik.
Zur Unterstützung und Vernetzung der Schulgartenidee wurde 2002 die Bundesarbeitsgemeinschaft Schulgarten (BAGS) gegründet. „Wir wollen den Erfahrungsaustausch zwischen den Bundesländern verstärken, Schulgarteninitiativen und Schulgartenwettbewerbe fördern und die Öffentlichkeitsarbeit verbessern“, fasst der Vorstandsvorsitzende Steffen Wittkowske die Ziele zusammen.
Praktische Gartenarbeit ist ein pädagogisches Feld, das lange vor den 1920er Jahren beackert wurde. Wittkowske unterteilt die Schulgartenbewegung in drei Phasen: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dienen Schulgärten als Liefer- und Lehrgärten für den Unterricht. In der Weimarer Republik entdeckt man den Schulgarten als Arbeitsgarten. Dann folgt eine Phase der Stagnation. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Teilung Deutschlands interessiert man sich in Westdeutschland außer im reformpädagogischem Milieu kaum für schulisches Gärtnern. In der DDR gehört das Fach Schulgarten zum Curriculum der Polytechnischen Oberschule.
„In den 1980er Jahren entsteht dann eine dritte Schulgartenbewegung“, erklärt Wittkowske. „Sie geht zum einen aus der westdeutschen Ökobewegung hervor. Zum anderen kommen entscheidende Impulse nach der Wiedervereinigung durch die jahrzehntelange Erfahrung der ostdeutschen Schulgartenbewegung“. Deshalb sind die ostdeutschen Bundesländer Vorreiter: Thüringen verankerte als bisher einziges Bundesland das Fach Schulgarten in Grundschul-Lehrplan. In Sachsen, das bereits den 8. Sächsischen Schulgartenwettbewerb ausrief, ist der Schulgarten integraler Bestandteil des Sachkundeunterrichts. Im Westen der Republik gibt es dagegen noch sehr viele pädagogische Brachflächen. Zentrales Anliegen der BAGS ist deshalb die bildungspolitische Anerkennung der Schulgarten-Arbeit und ihre Verankerung an allen Schultypen und Schulformen.
Die anthroposophisch orientierte Pädagogik ist da schon weiter. Die Ausbildung zum Waldorflehrer mit Schwerpunkt Gartenbau ist bereits im Rahmen der regulären Lehrerausbildung verwurzelt. Das Institut für Waldorf-Pädagogik in Witten-Annen etwa bildet Klassenlehrer an Waldorfschulen mit dem Fachstudium Gartenbau aus. Dort studierte auch Holger Langen, der als Gartenbaulehrer an der Waldorf-Schule Flensburg arbeitet. Er kümmert sich um das Schulgartenareal, zu dem rund 400 Hektar Ostbäume, ein Gewächshaus und Bienenstöcke zählen. Schüler aus den Klassenstufen 6 bis 8 kommen in der handwerklichen-praktischen Epoche zu ihm in den Gartenbau-Unterricht. „In kleinen Gruppen um die 10 Schüler arbeiten wir dann je nach Jahreszeit im Garten, oder wir pressen Saft, kochen Marmelade und mischen Kräutertee“, so der Lehrer. Für Langen ist der Schulgarten „praktische Naturkunde, die Naturerlebnisse ermöglicht und Vertrauen in die Natur schaffen kann. Im Gartenbau belehrt die Natur an sich, wenn die Rahmenbedingungen geschaffen sind.“ Die Aktualität des Schulgartens macht für Wittkowske vor allem eins aus: „Der Schulgarten ist ein Ort der Inklusion, der die Grenzen zwischen Sprachen, sozialen Schichten und Ethnien überwindet.“ Und zum anderen sei er ein „Ort der generationsübergreifenden Bildungsarbeit“, so der Hochschullehrer. Wittkowske zufolge ermöglicht der Schulgarten exemplarisch das Konzept der Teilhabe und des Ausprobierens: „Schulgärten öffnen Schulen nach außen und regen Entwicklungsprozesse an. Denn Schulen müssen anders werden.“ Verändern muss sich nach Meinung der BAGS aber auch die Bildungspolitik gegenüber der Schulgartenidee. Trotz Gesprächen mit der Bildungsministerin und der Kultusministerkonferenz wartet die BAGS bis heute auf Fördermittel für einen bundesweiten Schulgartenwettbewerb. Aber Gärtner haben ja bekanntlich Geduld.