: Verzweiflung und Hilflosigkeit
27-Jährige wird wegen Totschlags in einem minder schweren Fall zu drei Jahren neun Monaten Haft verurteilt. Sie hatte ihren Säugling kurz nach der Geburt vom Balkon eines Hochhauses geworfen
VON KAI VON APPEN
Monika K. muss lange ins Gefängnis. Wegen Totschlags in einem minder schweren Fall und falscher Anschuldigung verurteilte das Hamburger Landgericht die 27-Jährige Polin gestern. Am 17. März dieses Jahres, unmittelbar nach der Geburt ihres Säuglings, hatte sie diesen in eine Plastiktüte gesteckt und vom Balkon eines Hochhauses geworfen. Das Gericht ging damit deutlich über den Antrag der Staatsanwaltschaft hinaus, die drei Jahre und zwei Monate beantragt hatte. Und das, obwohl für Richter Claus Rabe der „moralische Täter“ ihr Ex-Freund Hismet K. sei und Monika K. zum Tatzeitpunkt unter einer „tiefgreifenden Bewusstseinsstörung“ gelitten habe.
„Was bringt eine Frau dazu, ein Neugeborenes in eine Plastiktüte zu stopfen und vom Balkon werfen? So eine Tat ist grausam und unfassbar“, philosophierte Rabe zu Beginn der Urteilsbegründung. Und gab sogleich die Antwort: „Es war ein Akt der Verzweiflung, Hilflosigkeit, Alleingelassenheit und Panik.“ Monika K. habe sich nach der Geburt in einem „körperlichen und seelische Ausnahmezustand befunden“, der in dem gesamten Ablauf der Schwangerschaft begründet sei.
So habe ihr Freund sie in der Beziehung stets ausgenutzt. Sie habe das Geld verdient, er sei in Spielhallen zocken gegangen. Während sie für ihn „große Liebe empfunden“ habe, hätte er mit anderen Frauen rumgemacht und nie verhohlen, dass er kein Kind mit ihr haben wollte, konstatiert Rabe: „Sie ist für Herrn K. ein willfähriges Objekt seiner egoistischen Interesse gewesen.“
So habe sie die Schwangerschaft auch allen verschwiegen. Eine Abtreibung in Polen habe sie jedoch im September in letzter Minute im Wartezimmer einer polnischen Frauenärztin abgeblasen. „Sie liebt Kinder“, attestierte Rabe. Sie habe gedacht, es werde alles gut. „Die Angeklagte verdrängte ihre Schwangerschaft“, führte Rabe aus. Daher habe sie keinerlei Vorbereitungen getroffen und ihr Kind bei ihren Eltern in Polen zur Welt bringen wollen. Als Zeitpunkt hatte Monika K. Ostern errechnet – und das war falsch.
Denn bereits am 16. März, gut zwei Wochen früher, hätten spät abends die Schmerzen eingesetzt, die Monika K. nicht als Wehen eingestuft habe. Mehrmals habe sie die Toilette aufsuchen müssen, während Hismet K. nebenan fest schlief. Auf der Toilette sei dann plötzlich das Kind zur Welt gekommen, und Monika K. habe gerade noch ein Handtuch ergreifen können, um es aufzufangen und kurz darauf mit einer Schere die Nabelschnur durchgeschnitten. „Dabei bricht alles über ihr zusammen“, sagte Richter Rabe. Weil das Kind nach einiger Zeit etwas geröchelt habe, sei sie in „völliger Überforderung in Panik geraten“ und habe in einer „akuten Belastungsreaktion“ die Tüte ergriffen und den Säugling darin vom Balkon geworfen. Dann sei das Kind an seinen Schädelverletzungen gestorben.
In Anspielung auf die Boulevard-Presse betonte der Richter gestern ausdrücklich, dass dies kein „Baby-Mord“ gewesen sei und Totschlag auch nur in einem minder schweren Fall. „Es liegt eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit vor.“ Anders sah das Gericht den zweiten Anklagepunkt, die falsche Anschuldigung. Zwar habe Monika K. anfangs die Tat „selbst verdrängt“ und sei noch am Abend nach der Geburt als Babysitter jobben gegangen. Tage später allerdings habe sie die Tat bewusst zu verschleiern versucht – als sie ins Visier der Polizei geraten sei. So habe sie vergeblich ihre Freundin zur Abgabe einer falschen DNA-Probe gebeten und danach ihren Freund aus Rache der Tat bezichtigt.
Es kam dann sogar für kurze Zeit zur Öffentlichkeitsfahndung. „Das kann man zwar menschlich nachvollziehen“, sage Rabe, „ist aber rechtlich unzulässig.“ Warum das Gericht jedoch über das Strafmaß der Anklage hinausgegangen ist, erläuterte er nicht näher. Monika K.s Äußerung, dass sie die Strafe „als eine Art Selbstreinigung“ empfinde, dürfte wohl kaum den Ausschlag gegeben haben.