: Integration leben
MIGRATION Bremen feiert den 50. Jahrestag des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens – mit einem bunten Fest am Samstag. Und gestern mit einem nachdenklichen Empfang
Tunca Özcuhadar, Türkischer Generalkonsul
VON BENNO SCHIRRMEISTER
Als „Vorzeigebundesland“ wird Bremen selten tituliert. Aber gestern tat das der türkische Generalkonsul Tunca Özcuhadar, mit Grund: Anlässlich des 50. Jahrestages des bundesdeutsch-türkischen Anwerbeabkommens begeht die Hansestadt ein Fest, auf dem Markt. Allzu lange, so Özcuhadar, hätten Türken und Deutsche in Deutschland aneinander vorbei gelebt. „Begegnung findet es erst seit etwa fünf Jahren statt“. Und da sehe er Bremen mit acht türkischstämmigen Landtagsabgeordneten etwa. Oder jenem Fest.
Und es wird gefeiert, was ja wichtig ist. Denn auch Migrationsgeschichte erschöpft sich nicht in Problemdiskursen: Von 12 bis 23 Uhr gibt’s unter dem Motto „50 Jahre Leben, 50 Jahre Arbeit“ ein Kulturprogramm, mit Live-Musik von der traditionellen Saz-Laute bis zu Disko, mit folkloristischen Tänzen, lecker Essen, Filmen, Dichterlesungen und Theater. Zugleich fand gestern einSenats-Empfang für MigrantInnen der ersten Einwanderungswelle statt. Also für jene, die im Laufe der 1960er nach Deutschland kamen, wo damals weitestgehend Vollbeschäftigung herrschte.
Es war nicht das erste Anwerbe-Abkommen, das am 30. Oktober 1961 in Bad Godesberg unterzeichnet wurde und rückwirkend zum 1. September in Kraft trat. Die Presse nahm kaum Notiz. Der Vertrag legt eine Zwei-Jahres-Frist fest: Länger sollten türkische Arbeitnehmer nicht in Deutschland bleiben. Praxisfern wurde sie 1964 gestrichen. Aber ein Familiennachzug blieb weiter unerwünscht. Das deutsche Arbeitsamt gründete eine Außenstelle in Istanbul, wo kontrolliert wurde, ob die Bewerber Lesen und Schreiben konnten – eine unabdingare Voraussetzung.
Dann werden sie einer medizinischen Musterung unterzogen. „Die war menschenunwürdig“, erinnert sich Kadri Öztürk, der Mitte 1966 nach Deutschland reiste, per Zug, drei Tage und drei Nächte, „wie eingesperrt in den Waggons“, sagt er beim Senatsempfang.
Keiner der Mitreisenden weiß, dass die Fahrt nach Bremen geht und sie bei einer Werft beschäftigt sein würden, beim Vulkan, wo die Gastarbeiter in Baracken untergebracht sind „mit sechs Mann in der Stube“. Es sind typische, keineswegs durchschnittliche Erfahrungen: Auch andere erzählen von den Schwierigkeiten, im fremden Land einzukaufen, von korrupten Dolmetschern der Unternehmen, die ihre Dienstleistung auch von den Arbeitern bezahlen lassen. Vor allem die Frauen hatten wechselnde Arbeitsplätze: Fischfabrik, Klinik, Kaufhaus. Es gibt Heimweh, Tränen, und oft, gleich anfangs, den Wunsch, sofort zurückzukehren.
Öztürk bleibt, lernt autodidaktisch Deutsch und wird 1975 erster türkischer Betriebsrat des Vulkan. Das kam nicht automatisch. „Die Gewerkschaften hatten uns auch nicht hier haben wollen“, erzählt er, „und die Betriebsräte waren dagegen, dass da einer seinen Platz hergeben musste.“ Vor 1972 war’s ganz unmöglich: Erst da wurde das Wahlrecht im Betriebsverfassungsgesetz von dem für den Bundestag entkoppelt.
„Wir“, sagt Bürgermeister Jens Böhrnsen und meint damit nicht nur Bremen, „haben kostbare Zeit verstreichen lassen.“ „Wir hätten viel früher beginnen müssen, Integration zu leben.“ Eine Feier kann die Versäumnisse von 50 Jahren nicht aufholen. Wohl aber ein guter Anfang sein.