: Ein Hauch von Cannes
FILMFEST Zwischenbilanz des 19. Filmfests Hamburg: Die bisherigen Highlights kommen aus dem Iran und aus Lateinamerika. Viele Filme beziehen Stellung zu politischen und gesellschaftlichen Missständen
VON ECKHARD HASCHEN
Als Großstadtfestival, wie das Filmfest Hamburg eines ist, kann man nicht allzu viel falsch machen, wenn man sich einen Gutteil seines Programms in Cannes sichert, wo bekanntlich jedes Jahr im Mai das wichtigste Stelldichein des Weltkinos stattfindet. Und so liefen und laufen hier an der Croisette preisgekrönte Filme wie Nuri Bilge Ceylans „Once Upon a Time in Anatolia“ oder Andreas Dresens Krebsdrama „Halt auf freier Strecke“. Dresen holte sich zusammen mit seinem Produzenten Peter Rommel zudem den „Douglas-Sirk-Preis“ fürs bisherige Lebenswerk ab.
Das Hauptaugenmerk aber liegt dieses Jahr auf Filmen, die dezidiert Stellung zu politischen und gesellschaftlichen Missständen beziehen. So war schon der Eröffnungsfilm, Mohammed Rasoulofs „Auf Wiedersehen“ eine deutliche Anklage gegen die im Iran herrschende Unterdrückung – auch wenn das Drama um eine versuchte Auswanderung nicht die Intensität von Asghar Farhadis „Nader und Simin – Eine Trennung“ erreicht. Seine eigene Situation als Filmemacher reflektiert dagegen der wie Rasoulof von den iranischen Behörden eigentlich zum Schweigen verurteilte Jafar Panahi in „This Is Not a Film“: In seinem eigenen Haus spricht Panahi in die Digitalkamera seines Kollegen Mojtaba Mirtahmsab hinein und versucht, mit Klebeband ausgerüstet auf seinem Wohnzimmerteppich Szenen aus seinem letzten Drehbuch zu illustrieren. Aber kann man überhaupt über einen Film sprechen, den es noch nicht gibt – und vielleicht nie geben wird?
Nur so, durch die radikale Infragestellung der eigenen Ausdrucksmittel bis hin zum Titel, gewinnt das Politische in Filmen wirklich eine Sprengkraft. Dass das Kino ansonsten eher zu sich selbst kommt, wenn seine Bilder und Geschichten nicht mit Absichten überfrachtet sind, sondern ganz für sich stehen können, ließ sich hier ein paar kleinen Filmen aus Südamerika ablesen, die in der Sektion „Vitrina“ liefen. Allen voran an „Las Acacias“, den Erstlingsfilm des Argentiniers Pablo Giorgelli. Ein Lastwagenfahrer nimmt eine Frau und ihr fünf Monate altes Baby mit auf der Fahrt von Asución nach Buenos Aires – viel mehr geschieht darin nicht, und doch ist in den Blicken, den Gesten und der sich langsam entwickelnden Vertrautheit zwischen den Dreien fast alles enthalten, was das Leben ausmacht.
Zwei weitere bemerkenswerte Debüts stammen von Regisseuren aus dem argentinischen Córdoba: In „Clubbing“ lässt Rosendo Ruiz einen jungen Fotografen in das Nachtleben seiner Heimatstadt eintauchen, sich in eine Frau verlieben und dadurch an allerlei zwielichtige Gestalten geraten. Alles andere als eine schwarze Komödie – wie so viele in der Tarantino-Nachfolge – interessiert sich Ruiz wirklich für seine Figuren und lässt uns so spüren, was sie in ihrem Innersten bewegt.
Ein ähnlich respektvoller und niemals wertender Blick auf seine Protagonisten zeichnet den mit kleinsten Mitteln realisierten Dokumentarfilm „Yatasto“ aus: Hermes Paralluelo hat hierfür zwei Jahre lang drei Teenager begleitet, die als Kutscher mit ihren Pferdekarren – und einer vor ihnen installierten Kamera – durch die Außenbezirke von Córdoba fahren und alles sammeln, was sich zu Geld machen lässt. Zu sehen ist hier nichts als Alltag: aber nicht banal, sondern essentiell.