: Über die Vielfalt von Superhelden
TANZ „Eigenartig“, Norddeutschlands einziges Tanzfestival für Behinderte, findet zum zweiten Mal in Bremen statt. Ob letztmalig, ist ungewiss
Die Krücke locker zwischen zwei Zehen geklemmt spaziert Saliou Diène über die Bühne. Zwei traumhafte Oberarme halten seinen Körper in Schwung, sie lassen die Kraftlosigkeit des rechten Beins komplett vergessen. Zusammen mit seinen KollegInnen der Kompagnie DIN A13 entfaltet Diène vor einem Geflecht aufgehängter Steine und Felle einen fulminanten Bewegungsfluss – die Eröffnungspremiere von „Eigenartig“, Norddeutschlands einzigem Tanzfestival für Behinderte. Es findet zum zweiten Mal in Bremen statt und dauert noch bis Sonntag.
Der Tanz behinderter Menschen ist so ziemlich die letzte Bastion traditioneller Ästhetik. Malerei, Literatur, selbst Kino und Theater sind längst mit prominenten behinderten Akteuren und Gruppen gesegnet. Tanz hingegen ist immer noch ein Tabubereich. Denn wenn der Körper selbst das Medium ist, gerät dessen gemeinhin als Deformation wahrgenommene Andersartigkeit – sagen wir lieber: Normabweichung – zwangsläufig zur konstituierenden künstlerischen Botschaft. Und ist damit geeignet, überkommene Ästhetikbegriffe durcheinander zu bringen.
Fieser Krückenraub
Vor diesem Hintergrund ist untypisch, dass sich „Terrains Découvertes“, die deutsch-senegalesische DIN-A13-Produktion, auf den „funktionierenden“ Körper fokussiert – auf Menschen, die ihre fehlenden Gliedmaßen akrobatisch zu ersetzen wissen. Das ist eindrucksvoll, ermutigend, schön anzusehen – vermeidet jedoch den Aufbruch zu anders-ästhetischen Ufern.
Die wirklich berührende Szene in „Terrains Découvertes“ ist denn auch eine, in der um so interessante Themen wie Gemeinheit und Verführung geht. Mit fiesen Tricks raubt Coumba Demé ihrem Favoriten Krücken zusammen, mit denen sie ihn zärtlich berührt und schließlich zur quasi schwebenden Statue modelliert. So entstehen Fragilitäten und Zwischentöne, die tatsächlich einer offeneren Ästhetik den Weg bereiten können.
Die Finanzierung des kleinen Festivals stand bis zuletzt auf der Kippe. Letztlich mussten die MacherInnen mit 40.000 Euro auskommen, ein Drittel des vorherigen Etats. Ob das Unternehmen unter diesen Umständen noch einmal gewuppt wird, scheint unklar. Immerhin verspricht Martin Roeder, Abteilungsleiter der Bremer Kulturbehörde, weiterhin Unterstützung, damit das Festival auch künftig alle zwei Jahre stattfinden könne: „Wir werden gern über unser Geld und das Dritter sprechen.“
Wie erfolgreich die Bremer Pionierarbeit auch in der Breite ist, erfährt, wer hier das „Tanzwerk“ besucht. Integrative Gruppen gehören seit acht Jahren zu dessen selbstverständlichen Nutzern, auch wenn der Schwingboden im Trainingsstudio den Rollstuhl-Abrieb nicht wirklich liebt.
Doch derlei technische Hilfsmittel werden von „Die Anderen“, wie die Gruppe sich nennt, ohnehin lieber in der Ecke abgelegt. Derzeit proben hier zwei Dutzend Kinder und Jugendliche an ihrem Stück „Superhelden retten die Welt“ – eine Auseinandersetzung mit der Vielfalt möglicher Heldenrollen, die der Vielfalt der körperlichen und geistigen Möglichkeiten der Gruppenmitglieder bestens entspricht. „Die dazu gehörige Musik werden wir noch komponieren lassen“, sagt Choreografin Inga Becker, momentan wird noch ein Filmer gesucht. Das langsam wachsende Selbstbewusstsein der Szene stimmt optimistisch – und ist dennoch auf Vernetzungspunkte wie einigermaßen regelmäßig stattfindende Festivals angewiesen. HENNING BLEYL
„Obscuro“: Samstag, 18 Uhr, Schwankhalle Bremen, danach „Helden“ der Bremer tanzbar. Das Gesamtprogramm unter: www.eigenartig-festival.de