Eine Geburt aus Gischt und Galle

„Shaum“ in der Schwankhalle ist eine sehr konkret abstrahierende Arbeit über Schönheit. Unterstützt vom „Tanzplan Deutschland“ spürt Helge Letonja den Ursprüngen ästhetischer Urteile nach

Es gurgelt und würgt, kracht und scheuert. Die Schaumgeburt einer Venus kann man sich auch anders vorstellen. Aber klassische Schönheit ist nicht das Thema in der Schwankhalle. Virginia Gimeno Folgado windet sich, gewaltige Drücke scheinen ihr Gesicht zu quetschen – das ist ein urzeitliches Ausgespucktwerden, kein von Engeln assistierter Akt der Renaissance. Helge Letonja vom „steptext dance project“ probt gerade seine Choreografie „Shaum“.

In der nächsten Sequenz kommt doch ein bisschen Botticelli ins Spiel: Folgado steht zwar nicht in einer Muschel, verdeckt aber sämtliche sekundären Geschlechtsmerkmale mit all der nachlässigen Züchtigkeit, die der Maler seinem Modell vor 500 Jahren in die Arme gelegt hat. Bloß die Haare liegen auf der falschen Schulter: „Immer auf die linke“, korrigiert Letonja, Kunstgeschichte ist Kunstgeschichte. „Shaum“ soll der erste Teil einer Trilogie über Schönheit werden, finanziell unterstützt vom „Tanzplan Deutschland“. Für Part eins, den Letonja als „abstrakte Abhandlung“ sieht, hat er fünf TänzerInnen in Barcelona gecastet, auch Günther Grollitsch von „steptext“ ist dabei.

Gerade liefert er sich ein Ohrfeigen-Duett mit Jordi Vilaseca Lorite. Nach einem abschließenden Nackenschlag entwickelt sich eine eher zärtliche Contact-Sequenz – „Stop! This moment I don’t understand“, unterbricht Letonja. Der Österreicher, der „steptext“ vor elf Jahren im Anschluss an sein Engagement bei Urs Dietrich und Susanne Linke am Bremer Theater gegründet hat, demonstriert eine spezielle Beindrehung, dann liegt Lorite auch schon am Boden und erstarrt. Die anderen TänzerInnen ergänzen das Standbild. Jetzt füllt sich der Raum mit einer Art Elektro-Galopp, die Szene bricht auf, Jörg Ritzenhoff geht musikalisch mit – der Kölner ist als Komponist akustischer Miturheber von „Shaum“.

Die Verlegung der Venus-Geburt von Zypern an die Nordsee ist mühelos nachzuvollziehen: Windmühlen und Leuchttürme tauchen auf – „mich interessiert durchaus diese gemäßigte, stille, flache Schönheit des Nordens“, sagt Letonja. Auch „wissenschaftliche Schönheit“ ist für ihn ein inspirierender Begriff, immerhin hat Nobelpreisträger Roald Hoffmann das molekulare Erscheinungsbild des Blutfarbstoffs Hämoglobin kürzlich mit „vier Bandwürmern im Liebesakt“ verglichen. In der Schwankhalle sind der Visualisierung des Blutes allerdings technische Grenzen gesetzt. Obwohl Melitta meterlange Filterpapierbahnen zur Verfügung stellte, scheiterte die geplante Aufwärts-Diffusion nach einem knappen Meter: Das mit 15 Litern Rotebeetesaft getränkte Papier riss. Sei’s drum: Auch ohne solche Effekte verspricht „Shaum“, eine eindrucksvolle Reflexion zu werden.

Henning Bleyl

„Shaum“: 22., 27.,28. und 29. September jeweils um 20 Uhr in der Schwankhalle, Buntentorsteinweg 112. Karten: ☎ (0421) 700 141