: „Weinanbau ist nicht erstrebenswert“
Der Kieler Klimaforscher Mojib Latif hat beim schleswig-holsteinischen Bauerntag schon mal aufgezeigt, worauf sich die Landwirte im Norden einstellen müssen. Der Klimawandel ist für mindestens 40 Jahre unaufhaltsam, sagt er
MOJIB LATIF, 52, ist Klimaforscher am Leibniz-Institut für Meereswissenschaften an der Universität Kiel (IFM-GEOMAR). FOTO: DPA
taz: Herr Latif, Sie haben gestern beim Landesbauerntag in Rendsburg gesprochen. Wie verschlägt es einen kritischen Klimaforscher wie Sie zu den konservativen Bauern?
Mojib Latif: Klimawandel ist ein Thema, das alle angeht, und die Landwirte spüren das als erste, schließlich sind sie direkt betroffen. Konservativ oder nicht – beim Klimawandel gelten diese Kategorien nicht mehr. Die Landwirte beschäftigen heute viele Fragen: Wie können wir den Klimawandel aufhalten, womit müssen wir rechnen, welchen Beitrag können wir leisten?
Und womit müssen die Bauern im Norden rechnen?
Es sind zwei Dinge, die bereits heute den Landwirten zu schaffen machen und die sich verstärken werden: Auf der einen Seite die Trockenheit, auf der anderen Seite extrem starke Niederschläge. Beides sind keine Gegensätze, sondern zwei Seiten der Medaille Klimawandel.
Wie können Landwirte mit dieser Lage umgehen?
Es gibt Saatgut, das Trockenheit besser widersteht. Schwieriger ist es mit Nässe, dagegen hilft kaum etwas. Und ein milderes Klima bedeutet auch mehr Schädlinge. Dagegen müsste die chemische Keule gezückt werden – das ist auch nicht gerade im Sinne des Erfinders.
Die Westküste ist berühmt für ihren Kohl, und der braucht Frost. Müssen die Dithmarscher auf Tomaten umsatteln?
Kurzfristig nicht, aber bis etwa 2070 werden wir 20 Tage weniger Frost im Jahr haben. Das wirkt sich dann natürlich schon aus.
Viele Bauern bauen Pflanzen an, die sich in Biodiesel verwandeln lassen – ein Weg gegen den Klimawandel. Aber soll sich Schleswig-Holstein wirklich in ein einziges großes Rapsfeld verwandeln?
Nein, natürlich nicht. In Maßen ist der Anbau regenerativer Pflanzen sinnvoll, aber er darf den Anbau von Nahrungsmitteln nicht ersetzen. Die Landwirte haben andere Möglichkeiten: Sie können beispielsweise Biogas oder andere Energiequellen nutzen. Die Landwirtschaft, gerade die Viehwirtschaft, produziert ja viele Abgase, und die ließen sich anders verwenden, als sie in die Luft zu blasen.
Sie nannten die Zahl 2070. Ist das ein Datum, an dem sich Änderungen richtig zeigen, oder geht es schon früher los?
Erste Änderungen sehen wir schon, und wir wissen, dass die Prozesse sich auf jeden Fall bis 2040 fortsetzen werden, einfach wegen der Trägheit des Systems.
Nun gibt es ja Leute im kalten Norden, die sich klammheimlich auf mehr Wärme freuen. Sollten die Bauern schon mal anfangen, Wein anzubauen?
Wer auf positive Folgen hofft, ist auf dem Holzweg. Der Klimawandel ist global, alle sind betroffen. Wenn sich das Klima verschiebt, sterben Bäume und Pflanzen ab, die hier heimisch sind, neue Schädlinge nisten sich ein.
Also kein Wein der Sorte Schlei-Südseite?
Die Weinanbaugebiete werden sich sicher weiter nach Norden ausdehnen, aber ich halte das nicht für erstrebenswert angesichts der übrigen Folgen des Klimawandels. INTERVIEW: EST