Die Mär vom Sommerlager

DOKUMENTARFILM Im Heimathafen Neukölln zeigen Fans von Tennis Borussia Berlin am Donnerstagabend den Film „Liga Terezín“, der sich mit der Fußballliga im KZ Theresienstadt und den Propagandalügen der Nazis beschäftigt

„Das Fußballspielen gab uns etwas Menschenwürde zurück“

TOMAN BROD IM FILM

Toman Brod ist Fußballfan. Zu den ersten Spielen, die der tschechisch-jüdische Historiker als Jugendlicher gesehen hat, zählten die, die mitten in einem KZ ausgetragen wurden. Der 1929 geborene Brod war Häftling im Lager Theresienstadt, in dem es diese Fußballliga für die Insassen gab. Sie hätten die Spiele genossen, sagt er, trotz oder gerade wegen der Grauen des Lagers: „Viele Dinge waren verrückt, aber sie waren Realität.“ Sie seien „so verzweifelt wegen der Umstände um uns herum“ gewesen, dass die Spiele ein – sehr kurzer – Lichtblick waren.

Brod ist einer der Überlebenden, der in der Doku „Liga Terezín“ zu Wort kommt (Terezín ist der tschechische Name des zwischen Dresden und Prag liegenden Theresienstadt). Der gut 50-minütige Film beschreibt eine Spurensuche: Er geht der Entstehungsgeschichte des NS-Propagandafilms „Theresienstadt – ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet“ (fälschlicherweise auch unter dem Titel „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ bekannt) nach, in dem der Fußball eine entscheidende Rolle spielt.

Denn die Liga, in der die Häftlinge des Lagers gegeneinander spielten, wurde, neben den Kultur- und Freizeitveranstaltungen im KZ, genutzt, um das perfide Bild eines „Sommerlagers“ – so bezeichnet es ein Protagonist des Films – von Theresienstadt zu zeichnen. Anlässlich des 70. Jahrestages der Auschwitz-Befreiung zeigt die Abteilung Aktive Fans von Tennis Borussia Berlin die israelische Doku von 2012 im Heimathafen Neukölln am Donnerstag erneut.

Im Zentrum des Films steht Oded Breda, der heute in Israel ein Projekt zum Gedenken an Theresienstadt leitet. Bredas Onkel Pavel spielte selbst in der Liga Terezín – in dem Propagandafilm ist er in einigen Spielszenen zu sehen. Familie Breda bekam bereits Anfang der sechziger Jahre Aufnahmen daraus vorgelegt und erkannte in Pavel Breda den Verwandten wieder, der, wie wahrscheinlich die meisten Protagonisten des NS-Films, noch 1944 nach Auschwitz deportiert wurde und starb.

Man sieht Oded Breda nun genau an jener Stelle Fußball spielen, an der sein Onkel im KZ mehr als 60 Jahre zuvor spielte: Er kickt nun selbst im heute verfallenen Innenhof der „Dresdener Kaserne“ in Terezín, in dem damals die Spiele stattfanden und sich die Besucher unter den Arkaden drängten.

Einer derer, die dort unter den Bögen standen, war eben Toman Brod. Dank des Fußballs konnte man das Lagerleben für einen Moment lang verdrängen, sagt er: „Wir brauchten etwas Vergnügen in dieser hoffnungslosen Zeit, in unseren hoffnungslosen Leben – das gab uns etwas Menschenwürde zurück.“

Protagonist Breda trifft weitere Überlebende – seine Suche führt ihn auch zu Historikern nach Amsterdam und nach Utrecht, wo ihm ein Wissenschaftler Filmskripte von Kurt Gerron vorlegt, dem damaligen Regisseur des Films. Gerron war ein in Theresienstadt inhaftierter jüdischer Kabarettist. Eine Prager Sektion der SS soll ihm den Auftrag gegeben haben. Vor dem Tod rettete ihn das nicht. Noch bevor der Film fertiggestellt war, wurde er in Auschwitz ermordet.

Der Film schwenkt immer wieder ins Heute, wenn die Überlebenden Fußballspiele in Prag oder Amsterdam besuchen. Dann wird der Film sehr schnell sehr aktuell: Wie die Fanszene das Wort „Jude“ weiterhin im Sinne einer Diffamierung gebraucht, ist genauso Thema wie die Berichterstattung und der Umgang mit türkischen Fans. „Was wir heute haben“, sagt Breda, als es um ein Länderspiel der Türkei in Holland geht, „ist ein anderes Problem der Fremdenfeindlichkeit, das der Islamophobie in Europa.“

Als Betrachter hat man das Gefühl, als sei die Kamera nahezu unsichtbar: Man wohnt der Recherche Oded Bredas bei, man begleitet ihn, sitzt auf dem Rücksitz seines Wagens, während er mehr über seinen fußballspielenden Onkel erfahren will.

■ „Liga Terezín“, Doku, 52 Min. Heimathafen Neukölln, Karl-Marx-Straße 141, Donnerstag, 19 Uhr, 5 Euro. In Anwesenheit von Mike Schwartz und Oded Breda