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Archiv-Artikel

Ein erfülltes Versprechen

Am Freitagabend lud das Sonar Kollektiv zur Feier des zehnjährigen Bestehens in den Tape Club. Großartig war, wie Christian Prommers Drumlesson Jazz und House verschmelzen ließ

VON TOBIAS RAPP

Es gibt Versprechen, die sind so groß, dass man sie immer wieder glaubt, wider besseres Wissen und gegen alle Erfahrung. Die Verschmelzung von Jazz und House ist so ein Versprechen. Seit zwanzig Jahren wird ihm hinterhergejagt, und irgendetwas geht immer schief: Meistens wird schlicht übersehen, dass Jazz eben mehr ist als der aus Sechzigerjahre-Coolness geborene Wohlklang eines bestimmten Sounds.

Umso gründlicher überwältigt stand man Freitagnacht im Tape Club. Christian Prommers Drumlesson heißt die Band, der das Kunststück nun endlich gelungen ist. Sie spielte auf der großen Gala, mit der das Berliner Sonar Kollektivs seinen zehnten Geburtstag beging. Was natürlich ganz wunderbar passte. Schließlich arbeitet das DJ- und Produzentenkollektiv Jazzanova, das das Sonar Kollektiv als Dachorganisation für seine vielfältigen Aktivitäten einst begründet hat, ja auch seit Jahr und Tag auf dieser Baustelle – neben dem ganzen anderen polystilistischen Wildwuchs zwischen Folk, Broken Beats, Bossa und Reggae.

Tatsächlich war der eigentliche Headliner der Veranstaltung auch eine andere Gruppe, das Sonar Kollektiv Orchester nämlich. Eine 15-köpfige Big Band, die die größten Hits aus der Geschichte des Labels aufführen sollte. Eine hübsche Idee, dürften die Arrangements für Orchester doch die einzige Möglichkeit sein, den Sound von so unterschiedlichen Künstlern wie Micatone, Jazzanova, Thief oder Clara Hill unter einen Hut zu bekommen. Abgesehen davon, dass es immer schön ist, wenn jemand eine so große Band zusammenstellt. Doch davor kam Christian Prommers Drumlesson. Und danach wollte man eigentlich nur noch beglückt herumstehen.

Jazz ist ja immer Importmusik. Auch wenn einem wahrscheinlich jeder Jazzmusiker mit Verweis auf Thelonious Monk und Duke Ellington das Gegenteil erzählen wird: Komposition ist keine Stärke des Genres. Ein Großteil der sogenannten Standards, also des kanonischen Stückebestands des Jazz, speist sich aus der amerikanischen Populärmusik der Dreißiger und Vierziger. Jazzmusiker interessieren sich für die improvisatorische Zerlegung von Stücken; die meisten Eigenkompositionen laufen darauf hinaus, dafür interessante Akkordfolgen zu Verfügung zu stellen. Das schafft Probleme, wenn man Jazz mit House zusammenbringt. Denn Songwriting ist etwas, das man auch dort nur ganz selten findet. House handelt von Wiederholung, von der einen Idee, der einen musikalischen Kleinsteinheit, die man in die Maschinen einspeist, um sie dem DJ zum Bespielen einer Tanzfläche zur Verfügung zu stellen. Umso erstaunlicher der Auftritt von Prommer und seinem Quintett. Sie hakten sich an den melodischen Schlenkern der Originale fest, um sie ansonsten aus dem Rhythmus heraus zu interpretieren.

Prommer war Teil des Rainer Trüby Trios und von Fauna Flash, kommt also aus jener popmusikalischen Gegend, wo schon in den späten Neunzigern versucht wurde, sich Jazz anzueignen. Damals aus dem Geist des Plattensammlers und DJs. Das hatte seine schönen Momente, lief aber wie die meisten musikalischen Bewegungen, die auf das musikhistorische Spezialwissen vertrauen, irgendwann ins Leere.

Mit Drumlesson wird Prommer im Januar ein Album herausbringen, auf dem eine Jazzband Houseklassiker interpretiert, bevor eine zweite Platte folgen soll, auf der Jazzklassiker im Housegewand eingespielt werden. Am Freitag spielte er selbst Laptop und ein kleines Schlagzeug, begleitet von dem Pianisten Roberto di Gioia sowie einer Rhythmusgruppe: Schlagzeug, Perkussion, Bass. Das hörte sich in seinen größten Momenten an, als hätte man eine Frühsiebzigerband des ehemaligen Coltranepianisten McCoy Tyner mit zusätzlichen Congas aufgemotzt.

Sie spielten große Klassiker wie Larry Heards „Can You Feel It“ oder Kraftwerks „Trans Europa Express“, mittlere Klassiker wie „Plastic Dreams“ von Jaydee und kleine Klassiker wie „Claire“ von iO. Und als Zugabe den Überklassiker „Strings Of Life“ von Derrick May – was für eine interessante Drehung sorgte, besteht das Stück doch im Wesentlichen aus einem Pianoriff, das zehn Minuten lang wiederholt wird.

Das Sonar Kollektiv Orchester wirkte im Vergleich leider eher wie die Landesjugend-Big-Band. Daran ist erst mal gar nichts Schlimmes. Nur denkt man angesichts des Rufs von Jazzanova eben an andere Vergleiche – die verschiedenen Versuche Carl Craigs, elektronische Musik orchestral nachzubauen etwa. Doch seien es die Arrangements, die Musiker selbst, das Zusammenspiel oder die Bühnenpräsentation – bis auf die Sängerin Lisa Bassenge konnte nichts so richtig überzeugend. Die allerdings nahm sich die Bühne, als sei sie ihr Privatbesitz, und sang einige Stücke ihrer Band Micatone. Was ganz ohne Crossover in andere Genres auskam – überzeugend stellte Bassenge sich in die Tradition der Jazzdiven.