Erforscher des klaren Klangs

CTM Craig Leon produzierte wichtige frühe Alben der New Yorker Punk- und New-Wave-Szene. Weitgehend unbekannt ist dagegen seine eigene, vom Weltall inspirierte Musik. Heute kann man sie im HAU 1 live erleben

Zur Musik seines Soloalbums „Nommos“ ließ sich Craig Leon etwa durch den Besuch einer Ausstellung von Kunst der Dogon-Volksgruppe aus Mali inspirieren

VON TIM CASPAR BOEHME

Wenn es einigermaßen gerecht auf der Welt zuginge, dann wäre der Name Craig Leon in der Musikwelt um einiges bekannter. Dass er es nicht ist, erstaunt ein wenig, wenn man sich die Namen der Bands ansieht, die Leon als Produzent bekannt zu machen geholfen hat, allen voran die Ramones und die Talking Heads. Ohne ihn hätten Punk und New Wave vermutlich eine etwas andere Entwicklung genommen.

Noch weniger bekannt als der Produzent Craig Leon ist allerdings der Musiker Craig Leon. Diesen Missstand zu beheben, schickt sich jetzt das Festival CTM an, wo Leon die Musik seines Albums „Nommos“ von 1980 heute im HAU 1 spielen wird, nicht als stures Nachspielen einer Aufnahme, sondern als Live-Darbietung auf der Grundlage der Klänge, die er damals im Studio erarbeitet hat.

Wer ist Craig Leon? Im Jahr 1952 in Florida geboren, spielte er zunächst als Keyboarder in Rock- und R&B-Bands und arbeitete ebenfalls als Arrangeur und Toningenieur für andere Musiker und baute schließlich sein eigenes Studio. Dort besuchte ihn Anfang der siebziger Jahre der New Yorker Produzent Richard Gottehrer, um ein Album mit der Climax Blues Band aufzunehmen. Gottehrer, der Mitgründer des Plattenlabels Sire Records, bot Leon anschließend an, bei ihm als Assistent zu arbeiten.

Craig Leon zog nach New York, um bei Sire als A & R-Manager zu arbeiten. Er entdeckte für das Label unter anderem die Proto-Punker Ramones und die New-Wave-Pioniere Talking Heads und produzierte auch das Debütalbum der Ramones. Leon war ebenfalls an der Produktion der frühen Alben von New-Wave-Ikone Blondie und den No-Wave-Vorreitern Suicide beteiligt. Für Atlantic Records produzierte er die Compilation „Live at CBGBs“ (1976) und kann damit als wichtige Kraft im Hintergrund für die Entwicklung des US-amerikanischen Punk gelten.

Umzug nach England

In den achtziger Jahren zog Leon nach England, wo er als Produzent für Statik, ein „Independent“-Label von Virgin Records, tätig war. Dort betreute er Alben von Bands wie Flesh For Lulu und The Chameleons. Des Weiteren nahmen unter anderem die Postpunk-Institution The Fall oder die belgischen EBM-Rabauken Front 242 seine Studiodienste in Anspruch. Inzwischen begleitet Leon zumeist Aufnahmen von klassischer Musik als Toningenieur.

Irgendwo zwischen Klassik und Pop kann man auch Leons eigene Arbeiten ansiedeln. Verkaufszahlen waren für den Studioforscher dabei kein primäres Ziel. Zur Musik von „Nommos“ etwa ließ er sich durch einen Besuch einer Ausstellung zur Dogon-Volksgruppe aus Mali inspirieren. Diese Kultur huldigt mit ihren Skulpturen einer außerirdischen Spezies namens Nommos. Craig Leon beschloss darauf, außerirdische Klänge zu komponieren – oder zumindest solche Musik, die wie von Außerirdischen klingen sollten.

Mit den modernsten Synthesizern seiner Zeit ausgestattet, erarbeitete Leon tribalistische Klänge, die zwischen Weltraum-Exkursion und elektronischer ethnischer Musik hin und her flirren. Es sind oft sehr einfache Rhythmen und minimale Melodien, auf die Leon zurückgreift. Man könnte darin sogar Ansätze zu einer reduzierten Clubmusik hören, wie sie zwei Jahrzehnte nach der Techno-Revolution auch in Clubs größere Verbreitung finden sollte.

Zu Beginn der Achtziger gab es, von Projekten wie den „Possible Musics“ von Jon Hassell und Brian Eno abgesehen, wenig Vergleichbares. Mit Punk ist diese Musik insofern vergleichbar, als sie allen Exzess, den sich die Synthesizermusik der siebziger Jahre genehmigt hatte, zugunsten einer rohen, aber sehr klaren Klangsprache vermied. Leons Soloprojekte waren lediglich um einiges abstrakter und entrückter als Punk.

■ Craig Leon live: Heute, HAU 1, 19.30 Uhr, www.ctm-festival.de