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Archiv-Artikel

Ein Irrealis in Permanenz

GENREKINO Der erste Meister des italienischen Horrorfilms war Mario Bava. Violett und smaragdgrün leuchtet es aus jedem Winkel in seinen Dämonen- und Draculafilmen, wiederaufgeführt in den Tilsiter Lichtspielen

Bava denkt vor allem von der Kamera her, vom genau komponierten, exakt ausgeleuchteten Bild

VON THOMAS GROH

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ein Regisseur und Kameramann, dessen Name für eine expressive Farbgestaltung steht, seinen Einstand als Regisseur mit einem Schwarzweißfilm feierte. Nichtsdestotrotz zählt der auf Deutsch schon mangels Vampire albern betitelte „Die Stunde, wenn Dracula kommt“ (1960) mit seiner prächtigen Schwarzweißfotografie und einer ins Traumhafte entrückten Atmosphäre zu den schönsten Filmen nicht nur Mario Bavas, sondern des italienischen Genrekinos überhaupt.

Weite Bahnen gehen von diesem Film aus: Die junge Barbara Steele, hier in der Rolle der fürchterlichen Hexe Asa, die sich als Revenant an den Nachkommen ihrer Mörder rächt, zählte fortan, einem Zwischenspiel in Fellinis „8 1/2“ “ zum Trotz, zu den Ikonen des Genres. Der italienische Horrorfilm mit seiner langen Tradition war stilistisch aus der Wiege gehoben und mit Mario Bava dessen erster Meister etabliert. Für Tim Burton etwa ist Bava regelmäßig ästhetischer Referenzpunkt, Scorsese zählt zu seinen ausgesprochenen Verehrern.

Der Karriere als Regisseur waren viele Jahre als Kameramann in Cinecittà vorausgegangen. In die Lehre ging Bava bei seinem Vater, dem Maler und Kameramann Eugenio Bava, der den italienischen Monumentalfilm der Stummfilmzeit stark prägte. Auf dem Regiestuhl landete er fast zufällig: Bava vollendete die zu scheitern drohenden Arbeiten des berüchtigten Riccardo Freda.

Fest der Künstlichkeit

Mit diesen langen Lehrjahren erklärt sich auch Bavas vollentwickeltes optisches Gespür: Er denkt vor allem von der Kamera, vom genau komponierten, exakt ausgeleuchteten Bild her. Während sich zeitgleich in Europa zahlreiche Jungregisseure daranmachten, auf die Straßen zu gehen und das herkömmliche Kino in seine Bestandteile zu zerlegen, verfeinerte Bava unter den industriellen Arbeitsbedingungen in Cinecittà das Genrekino zu einer sich seiner Künstlichkeit voll bewussten Form: So dunkel und geheimnisvoll wie in „Der Dämon und die Jungfrau“ (1963), eine in die schauerromantische Geistergeschichte gespiegelte Amour fou mit Christopher Lee, leuchtete das Technicolor ansonsten nur bei Douglas Sirk wenige Jahre zuvor. In Bavas Gothic-Horrorfilmen strahlen aus jedem versteckten Winkel violette und smaragdgrüne, genau gesetzte Lichttupfer, allen Unwahrscheinlichkeiten zum Trotz.

Bavas Filme verstehen sich als Irrealis in Permanenz, in ihren besten Momenten steigert sich das zu fieberhaft schönen Traumgebilden. Oder aber zu farbenfrohen Camp-Spektakeln der sympathischsten Sorte, wie in „Vampire gegen Herakles“ (1961), eine elaborierte Plastik- und Pappmaché-Trivialität, die ohne Bavas exzellente Veredelungsarbeit zu bloßem Trash verdammt wäre. Vom „so bad they’re good“-Zynismus ist er dabei weit entfernt.

Die Kamera schaukelt

Dieses Fest der Künstlichkeit findet sich auch in Bavas Kameraarbeit wieder, die einen in ausgesuchten Momenten daran erinnert, dass sie und nur sie es ist, die diese Filmwelt hervorbringt: In „Die toten Augen des Dr. Dracula“ (1966), dessen Vampirismus neuerlich eine Erfindung des deutschen Verleihs ist, schwingt der Kamerablick in einer Szene auf einer Kinderschaukel fröhlich hin und her. In „Blutige Seide“ (1964), der das Scharnier zwischen den deutschen Wallace-Krimis und dem italienischen Giallo bildet, fährt die Kamera in einer berühmten Einstellung quer durch ein Modeatelier und stößt dabei bewusst eine der Modellpuppen an, nur um umgehend zu unterstreichen, dass der Kamerablick an keine der Figuren gebunden ist.

Ein brechtscher Verfremdungseffekt ist das freilich gerade nicht: Die Illusion wird bei Bava nicht analytisch gebrochen, sondern gefeiert, und die Mittel werden dabei offengelegt. Eine Stafette, die Dario Argento, Italiens größter Ästhetizist und Manierist, in der satten Farbpalette seiner Meisterwerke aus den 70er Jahren dankbar annahm: War Bavas suchende Kamera hungrig, ist sie bei Argento gierig und gefräßig.

Als Genrehandwerker ist Bava noch immer weitgehend unbesungen. Nach Retrospektiven in offiziellen Filmkunsthäusern hält man vergeblich Ausschau. Eine Auswahl seiner schönsten Filme zeigen nun die ihrerseits etwas abseits vom Kunstbetrieb gelegenen Tilsiter Lichtspiele, passend um Mitternacht.

■ Tilsiter Lichtspiele, Richard-Sorge-Str. 25a, bis 31. November Info: www.tilsiter-lichtspiele.de