LESERINNENBRIEFE :
Grundgesetzwidrige Abhörpraxis
■ betr.: „Welt am Draht“, taz vom 28. 1. 15
Liebe taz, ich finde es ja recht loyal, wenn du heute Werbung für ein Buch machst, das – mal wieder – die Abhörpraktiken der Stasi zum Inhalt hat; nach 25 Jahren. Es passt aber auch zur momentan wieder aufgekommenen Forderung nach einer Vorratsdatenspeicherung, obwohl diese vom Bundesverfassungsgericht wie auch vom Europäischen Gerichtshof verworfen wurde und, wie die Praxis in den USA und in Frankreich zeigt, untauglich ist, Terroranschläge zu verhindern. Aber es passt auch, dass es gerade in den christlichen Parteien historisch gewachsen scheint, die eigene Bevölkerung zu bespitzeln. Wer weiß schon, dass bereits unter Konrad Adenauer und dem ganz jungen Grundgesetz eine grundgesetzwidrige Abhörpraxis betrieben wurde, nämlich das Abhören von Telefonaten und das Öffnen von Briefen von und nach der DDR. Darüber wird keine Silbe verloren, auch nicht von dir, liebe taz. Und wenn man sich anschaut, wie der NSA-Ausschuss gerade von der Regierung und den sie tragenden Parteien behindert wird, scheint die Vorstellung von einer Bespitzelung der Bevölkerung in den Regierungen legitim, wenn auch nicht legal zu sein. Dann doch lieber mal wieder den Buhmann „DDR und Stasi“ auf die Tagesordnung gesetzt. ALBERT WAGNER, Bochum
Vorbehalte gegen Religion
■ betr.: „Der Luther des Islam“, taz vom 21. 1. 14
Liebe Frau Sezgin,
ich kann Ihnen gerne erklären, warum mich als Agnostiker solcherlei Bücher nicht interessieren. Es liegt nicht daran, wie Sie unterstellen, dass für mich nur das als „wahr“ gilt, was durch „Beweise“ konsensfähig gemacht wird. Vielmehr macht es mich als Agnostiker aus, dass ich der Behauptung einer letztendlich schließbaren Wahrheit in ontologischer, aber auch in normativer Hinsicht äußerst skeptisch gegenüberstehe. Insofern kritisiere ich alle teleologischen Überzeugungssysteme, und da gehört der religiöse Glaube dazu.
Zunächst ist es mir nicht plausibel, wie angesichts eines offenen Bedeutungsgehalts von Bezeichnungen und Bezeichneten und der damit einhergehenden Unmöglichkeit der Schließung einer letzten Wahrheit überhaupt ernsthaft von Wahrheit oder Objektivität gesprochen werden kann. Darüber hinaus werden durch die Behauptung einer objektiven letzten Wahrheit die Konflikte um die gemeinsamen Regeln entpolitisiert. Die Trennungslinie verläuft nun nicht mehr zwischen möglichen, aber nicht notwendigen Meinungen (also zwischen „rechts“ und „links“), sondern zwischen „wahr“ und „falsch“. Normen werden nicht als kontingente, sozialisationsbedingte Überzeugungen interpretiert, sondern auf einen letzten Grund (in dem Fall Gott) zurückgeführt. Diese Bezugnahme von Konfliktparteien auf eine außergesellschaftlich gedachte Wahrheit ermöglicht erst die Definition des grundsätzlich existenzberechtigten Gegners als zu vernichtenden Feind.
Insofern sind es ontologische und demokratietheoretische Überlegungen, die meine Vorbehalte gegen Religionen speisen, und nicht ein Mangel an „Beweisen“ für oder gegen die Existenz Gottes. Ebenso wenig interessiert es mich, wie alt oder neu der Glaube an Gott ist beziehungsweise ob der religiöse Glaube schon sehr lange oder erst seit Kurzem zur sozialen Praxis von Menschen gehört. Denn diese Qualitäten sagen nichts über die Plausibilität religiöser Überzeugungen aus. Ich lege auch nicht meinen „Wahrheitsbegriff“ an die Religion an, wie Sie behaupten. Es ist der Begriff der Wahrheit selbst, über den wir streiten müssen. Am Ende stehen die religiös Gläubigen in der Schuld, die Existenz eines letzten Grundes für gemeinsame Normen (also Gott) zumindest plausibel zu machen, wenn sie wollen, dass der Rest der Gesellschaft ihre Normen befolgt. Die Entscheidung der religiös Gläubigen, an Gott zu glauben – die ja, wie Sie selbst andeuten, die Voraussetzung zum Glauben ist –, ist aus meiner Sicht nicht zwingend. Und angesichts des entpolitisierenden Charakters der Religion ist sie auch nicht wünschenswert. ANDRE ROTHER, Mannheim
Eine positive Überraschung
■ betr.: „Auschwitz 2015“, taz vom 28. 1. 15
Als ich vor einigen Jahren zum ersten Mal in Auschwitz-Birkenau war, sagte die Führerin zu Beginn: „Die Ersten, die ins Lager kamen, waren Kommunisten und Sozialisten.“ Das war, verglichen mit dem, was ich aus Deutschland gewohnt bin, eine positive Überraschung. Erst in den 1970er Jahren im Rahmen meines Politologiestudiums habe ich in Seminaren zu Faschismustheorien den Zusammenhang zwischen Bekämpfung der Linken und Etablierung der Nazis erfahren. Inzwischen habe ich das Gefühl, das könnte gerade für jüngere Menschen eine Art Geheimwissen sein, das die wenigsten kennen. Umso wichtiger hätte ich es gefunden, dass die taz einmal darauf hinweist, wenn schon in allen offiziellen Würdigungen das Thema außen vor bleibt. Noch nie hat es bei den Feierlichkeiten zur Auschwitz-Befreiung eineN RednerIn gegeben, der oder die dazu hätte sprechen dürfen. Und das in Zeiten des Neoliberalismus, wo Gewerkschaften geschwächt werden und gegen die Linke generell und die Partei speziell polemisiert wird.
Vor einigen Jahren war ich in Paris und habe vor der Gedenkstätte für Nazi-Opfer am Seine-Ufer gestanden, von wo aus die Deportationen stattgefunden haben. Dort sind eine Reihe von Tafeln angebracht, alle in gleicher Größe und gleicher Aufmachung. Sie tragen das Emblem, das die Verhafteten tragen mussten, und die Reihe reicht von „A“ wie Asoziale bis „Z“ wie Zeugen Jehovas. Ich war sehr beeindruckt und wünsche mir noch heute, nach Deutschland könnte etwas davon über die Grenze kommen, was nicht die Tatsache verkleinern soll, dass die Juden die Gruppe waren, die die meisten Toten zu beklagen hat. Ursula Müller, Kiel