Kölle halal!

ANGEPASST Die Karnevalisten verzichten auf ihre Meinungsfreiheit und probieren nicht, wie zulässige Islamkritik aussehen könnte

Ausgewählt wurde das harmlose Motiv über eine Onlineabstimmung auf Facebook – ein Novum im Kölner Karneval

VON PASCAL BEUCKER

BERLIN taz | Ganz mutig hatten sie sein wollen. Mit einem eigenen Mottowagen wollten die Kölner Karnevalisten am Rosenmontag unmissverständlich Stellung zu den dschihadistischen Morden in Paris beziehen. „Mir sin Charlie“, verkündeten sie trotzig auf Kölsch noch vor zwei Wochen und wollten den Spruch auch auf den Umzugswagen schreiben. Man wolle „ein Zeichen setzen“, begründete Zugleiter Christoph Kuckelkorn die heroische Absicht. „Das Thema Meinungsfreiheit ist für uns Karnevalisten ein sehr entscheidendes.“ Ohne den Finger in politische und gesellschaftliche Wunden und Missstände legen zu können, „wäre der Rosenmontagszug völlig undenkbar“. Schön wär’s. Das Festkomitee Kölner Karneval hat es sich anders überlegt: Es wird keinen Charlie-Hebdo-Wagen geben.

„Wir möchten, dass alle Besucher, Bürger und Teilnehmer des Kölner Rosenmontagszugs befreit und ohne Sorgen einen fröhlichen Karneval erleben“, heißt es in einer verquasten Erklärung, die das Festkomitee am Mittwoch veröffentlicht hat. „Einen Persiflagewagen, der die Freiheit und leichte Art des Karnevals einschränkt, möchten wir nicht.“ Deshalb hätten sich die Oberkarnevalisten, die seit 1823 über den organisierten Frohsinn in der Stadt wachen, dafür „entschieden, den Bau des geplanten Charlie-Hebdo-Wagens zu stoppen und den Wagen nicht im Kölner Rosenmontagszug mitfahren zu lassen“. Eine erstaunliche Kehrtwende.

Erst am Donnerstag vergangener Woche hatte das Festkomitee stolz den Entwurf des nun wegzensierten Wagens präsentiert: Mit roter Pappnase und Buntstift bewaffnet, stellt sich ein kölscher Jeck dem Schießprügel eines schwarzgekleideten Terroristen entgegen – und Idefix pinkelt dem Dschihadisten ans Bein. Eine Friedenstaube ziert die französische Fahne.

Ausgewählt wurde das harmlose Motiv über eine Onlineabstimmung auf Facebook – ein Novum im Kölner Karneval. Mit dem Ergebnis zeigte sich Zugleiter Kuckelkorn äußerst zufrieden. Der von den Facebooknutzern unter 14 Motiven ausgewählte Entwurf zeige „vorbildlich“, dass auf politische und gesellschaftliche Missstände aufmerksam gemacht werden könne, „ohne Menschen bloßzustellen oder gar ihre religiösen Gefühle anzugreifen“. Es habe auch kritische Kommentare gegeben, ob man sich im Karneval überhaupt mit den Anschlägen in Paris beschäftigen dürfe, räumte Kuckelkorn ein. „Dazu sagen wir ganz klar Ja, denn die Angriffe waren ein Anschlag auf die Meinungsfreiheit – im Karneval auch bekannt als Narrenfreiheit.“

Doch das gilt nicht mehr. Zwar stehe man „zur Aussage dieses Wagens und der demokratischen Abstimmung der Entwürfe sowie zum eindeutigen Votum für den geplanten Wagen“, heißt es in der Erklärung des Festkomitees. Auch wird betont, dass die Meinungsfreiheit „ein hohes Gut der Demokratie“ sei.

Was zu dem überraschenden Umdenken geführt hat, bleibt nebulös. Ausdrücklich dementiert das Festkomitee, dass es Sicherheitsbedenken gewesen sein könnten. Vertreter der Polizei und weiterer Behörden hätten versichert, dass „keinerlei Risiko“ für den Zug bestanden hätte, „auch ausdrücklich nicht wegen des Charlie-Hebdo-Wagens“. Dass Gruppen oder Karnevalsgesellschaften Ängste geäußert hätten, vor oder hinter dem Wagen zu gehen, sei ebenfalls „schlichtweg falsch“. Im Gegenteil: Es hätten sich zahlreiche Gesellschaften sogar „für die Mitfahrt auf diesem Wagen beworben, um damit ein Zeichen für die Meinungsfreiheit zu setzen“. So bleibt nur die dünne Erklärung: „Der Karneval soll jedoch nicht zu Sorgen führen – vielmehr wollen wir alle gemeinsam unbeschwert feiern.“

Mit harscher Kritik reagierten die Grünen. Er habe „null Verständnis für diese Entscheidung“, sagte der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Sven Lehmann. „Gerade an Karneval sind solche politisch heißen und auch traurigen Themen nicht nur zumutbar, sondern von den Jecken offenbar gewollt – wie das Ergebnis der breiten Abstimmung zeigt“, so der in Köln lebende Grüne. „Wenn Angst den Karneval überkommt, hat der Terror gewonnen.“

Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib) begrüßte hingegen den Rückzieher des Festkomitees. „Ich finde es sehr positiv, dass diese Entscheidung getroffen wurde“, sagte der Ditib-Vorsitzende Yasar Asikoglu. So wie die Muslime in Deutschland die Werte anderer Menschen respektieren, erwarte er auch, „dass man unseren Werten Respekt erweist.

Mit Verwunderung reagierten die alternativen Stunksitzer. „Dieser peinliche Rückzieher ist sehr skurril“, sagte deren Sprecher Winni Rau der taz. „Es riecht danach, dass sich das Festkomitee erst weit aus dem Fenster gelehnt hat, um dann beim ersten lauen Lüftchen umzufallen.“ Dabei sei der geplante Wagen doch nur ein „harmloser Kommentar zum Thema Meinungsfreiheit“ gewesen. Rau verweist darauf, dass der offizielle Kölner Karneval mit Religionskritik noch nie viel am Hut hatte. Bei der als Gegenentwurf zum Sitzungskarneval gegründeten Stunksitzung ist das anders. „Religion wird bei uns immer aufs Korn genommen“, betonte Rau. Besonders die katholische Kirche ist stetes Ziel von Hohn und Spott – was immer mal wieder zu wütenden Proteststürmen von sich beleidigt fühlenden Christen führte. Aber auch der Islamismus hat mittlerweile seinen Platz. So spottet in diesem Jahr „die löstige moslemische Krawallmöhne“ im Burka-Outfit in einer Nummer: „Seit es Tretminen gibt, haben wir kein Problem mehr damit, fünf Meter hinter den Männern herzulaufen.“ In einer anderen Nummer schimpft Allah auf die dschihadistischen Mörder von Paris. Er trägt ein „Je suis Charlie“-T-Shirt.