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Archiv-Artikel

Keine Angst vor Berührungsängsten

Verlängerte Öffnungszeiten zur Eröffnung des Musikfestes sorgte bei manchen Besuchern für Irritation und bei den Geschäftsleuten für volle Kassen. Im Wettbewerb der Städte im Nordwesten um die Gunst der Kunden mischt inzwischen auch Groningen mit

von CATHARINA OPPITZ

Kunst und Kommerz in trauter Eintracht versprach die Shopping-Nacht anlässlich der Eröffnung des Musikfest Bremen. Einkaufen bis 24 Uhr, jede Menge Parkplätze, noch dazu ermäßigt, und Live-Konzerte für umsonst sollten der Einkaufsgemeinde ein Erlebnis der besonderen Art verschaffen. So versprachen zumindest die Geschäftsleute aus der Innenstadt vollmundig: „So etwas gibt es nur in Bremen.“

Die City-Initiative weiß von einem Umsatzplus zu berichten. Während an „normalen“ Samstagen im vergleich zu einem Wochentag etwa das Doppelte umgesetzt wird, kam in der Shopping-Nacht das Vierfache eines gewöhnlichen Wochenumsatzes zusammen. „Es sind auffällig viele Kunden aus dem Umland nach Bremen gekommen“, hat Peter Schöler von der City-Initiative beobachtet. Dieser Eindruck bestärkte sich, als es am darauf folgenden Montag zu keinen Umsatzeinbußen gekommen war. „Wären zur Shoppingnacht vor allem Kunden aus Bremen gekommen, hätten wir das in der nächsten Woche doch an einem Umsatzrückgang merken müssen.“ Das Gegenteil war der Fall, am ersten Geschäftstag klingelten die Kassen so fröhlich weiter, als hätte es den verkaufsoffenen Samstag nicht gegeben.

Für die Shoppingnacht sei gezielt Werbung in den Regionalausgaben der Zeitungen geschaltet worden. Dieser Mehraufwand habe anscheinend gegriffen. „Es tobt ein Standortkampf zwischen Bremen und Oldenburg“, so Peter Schöler.Die beiden Einkaufsstädte im Nordwesten buhlen um finanzkräftige Kunden, denen es nichts ausmacht, sich erst einmal ins Auto zu setzen, bevor sie einkaufen gehen. In den Wettbewerb um größere Attraktivität für Einkaufswütige hat sich inzwischen auch Groningen eingeklinkt. Mit Werbekampagnen versucht die holländische Stadt, sich als Einkaufsalternative der etwas exotischeren Art zu etablieren. Vor allem besondere Ereignisse, also „Events“, wie man im Stadtmarketing gerne dazu sagt, sollen zusätzliche Besucher in die Städte ziehen. „Ein zusätzliches Einkaufsangebot muss immer mit einer Veranstaltung verbunden sein, sonst kommen keine Leute extra in die Stadt“, sagt Peter Schöler. Bis zu vier Mal im Jahr seien verlängerte Einkaufszeiten für die Kunden attraktiv. Ließe man die Läden regelmäßig so lange auf, würde ein Gewöhnungseffekt eintreten und der besondere Charakter würde verloren gehen. Nach der Eröffnung des Musikfestes machten zahlreiche Besucher ihrem Unmut in Leserbriefen Luft, in dem sie das enge Nebeneinander von schnödem Kommerz und hehrer Kunst heftig kritisierten. Es könne nicht angehen, dass man auf dem Weg ins Konzert der Putzfrau über den Weg laufe, war der Tenor der Briefe. Über derartige Berührungsängste kann sich Peter Schöler nur wundern: „Das ist ein Denken von Vorgestern, die Grenzen von Kunst und Kommerz sind doch fließend.“ Bei den zahlreichen Open-Air Konzerten in der Innenstadt habe er viele Besucher mit Einkaufstüten in der Hand stehen bleiben sehen, die ihren Einkaufsbummel mit etwas Musikgenuss verbunden hätten.

Auch Carsten Preisler vom Musikfest sieht im Nebeneinander der Veranstaltungen vor allem Positives: „Alle Seiten haben voneinander profitiert und sich gegenseitig nicht im Ablauf gestört.“ Der Großteil der Konzerte habe ohnehin hinter verschlossenen Türen stattgefunden, fern ab von Einkaufstüten und im Kreis von Konzertkartenbesitzern. Über die Kritik in den Leserbriefen kann sich Carsten Preisler nur wundern, Leute mit Einkaufstüten würde man schließlich das ganze Jahr über auf dem Marktplatz sehen. Das Musikfest Bremen wurde in diesem Jahr zum ersten Mal mit verlängerten Öffnungszeiten der Geschäfte kombiniert, wie viele Besucher von diesem Angebot Gebrauch machen würden, sei im Vorfeld nicht abzusehen gewesen. „An den Getränkeständen kam es durch den zusätzlichen Besucherandrang vielleicht zu Wartezeiten, der einige Besucher des Musikfest irritiert hatte“, räumt Preisler ein. Dennoch sieht er im Nebeneinander von Kunst und Kommerz positive Synergieeffekte. Zahlreiche Einkaufswütige seien an die Informationsständen gekommen, vielleicht haben sich auch hier neue Musikinteressierte gewinnen können.

20.000 Besucher zählte das Musikfest, allein zur Eröffnung waren etwa 4.000 Besucher gekommen.

70 Prozent kamen dabei aus der Region, also aus einem Umkreis von bis zu 50 Kilometer. Das hatte sich durch den Kartenverkauf gezeigt, von dem ein Großteil online abgewickelt wurde. Noch nicht geklärt ist, ob es auch im nächsten Jahr zum Musikfest wieder verlängerte Öffnungszeiten geben wird. Ob man jetzt aber wegen kleiner Preise oder großer Kultur in die Innenstadt gekommen war – zumindest die Illuminationen in der Innenstadt kamen bei den meisten Besuchern gut an. Mit Plastiktüte oder Prosecco-Glas in der Hand.