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Archiv-Artikel

Der Boulevardreporter als Detektiv

CRIME SCENE Ganz nebenbei, ganz locker porträtiert Árni Thórarinsson in diesem gut gearbeiteten Krimi die isländische Gesellschaft: „Ein Herz so kalt“

Aus „Zehn Tipps, das Morden zu beenden und mit dem Abwasch zu beginnen“ von Hallgrímur Helgason wissen wir noch, dass es nicht so leicht ist, in Island als Berufskiller zu arbeiten, da es im Land praktisch keine Schusswaffen gibt. Die Inselbewohner greifen daher auf archaischere Arten zurück, um andere Menschen vom Leben zum Tode zu befördern. Man kann zum Beispiel eine Frau mit ihrem eigenen Stringtanga erdrosseln.

Árni Thórarinsson, der im bürgerlichen Leben auch als Journalist arbeitet, ist aber kein Autor, der dergleichen Szenarien für die sensationslüsternen unter den Lesern süffig aufbereiten würde. Thórarinsson, obgleich innerhalb des Genres kein Revolutionär, hebt sich insofern heraus aus der Masse der Krimiautoren, als er mit seinen gut gearbeiteten Krimis gleichzeitig einen Mikrokosmos der isländischen Gesellschaft skizziert.

Mit seinem Reporterdetektiv Einar, einem Exalkoholiker, der von Reykjavík in die kleine Stadt Akureyri in Nordisland versetzt wurde, um die dortige Lokalzeitung mit seiner Arbeitskraft zu bereichern, hat er außerdem einen sympathischen Helden geschaffen, der aber auf sportliche Art doch Bluthund genug ist, um bei der Aufklärung eines Verbrechens immer am Ball zu bleiben. Natürlich stets im Dienste einer guten Story und mit dem unerträglichen Ressortleiter im Nacken.

In Akureyri wird eine Art Festival begangen. Einar, der für die Ferien just Besuch von seiner halbwüchsigen Tochter und deren Freund bekommen hat, schreibt ein paar belanglose Beiträge über das bunte Treiben, interviewt auch die illustren Amerikaner, die in die Stadt gekommen sind, um einen Film zu drehen, und findet in einem verlassenen, alten Haus eine Leiche. Es ist ein junges Mädchen, erwürgt, wie sich herausstellt, das aus Reykjavík stammt. Und während die Polizei noch im Dunklen tappt, sitzt Einar schon im Flugzeug Richtung Hauptstadt, um sich dort mit einer mysteriösen Frau zu treffen, die ihn angerufen und behauptet hatte, Hellseherin zu sein. Leider ist auch diese interessante Dame innerhalb kurzer Zeit tot.

Und so erwartbar das alles in der Nacherzählung auch klingen mag, so hat doch die Geschichte durchaus mehrere Ebenen. Gewalt gegen Frauen ist nur eines der Themen im Hintergrund. Drogen- und Alkoholmissbrauch spielen eine große Rolle, problematische Eltern-Kind-Verhältnisse werden durchgespielt, und die auftretenden Typen, die Reinar undercover aufsucht, repräsentieren einen eindrucksvollen kleinen Querschnitt durch die Gesellschaft. Und dann gibt es da noch Reinar selbst, diesen etwas schnodderigen Ich-Erzähler mit der angenehmen Begabung zur Selbstironie. Durch diesen Filter gesehen, fällt es dann auch gar nicht auf, dass seine Geschichte, auf andere Weise erzählt, wahrscheinlich deutlich zu heldenhaft geraten wäre. Denn das kann es ja wohl nicht geben, dass ein Lokalreporter der Polizei permanent um eine Nasenlänge voraus ist und dennoch mit dem ermittelnden Kommissar befreundet bleibt. Aber wer weiß denn schon, wie das in Island ist. Braucht man in einem Land ohne Schusswaffen überhaupt eine Polizei, wenn es dort solche Journalisten gibt? KATHARINA GRANZIN

Árni Thórarinsson: „Ein Herz so kalt“. Aus dem Isländischen von Tina Flecken. Droemer Verlag, München 2011, 416 Seiten, 19,99 Euro