: Biss aufs BlutDer Name
VIECHER Sie ritzen, saugen und übertragen Krankheiten – womöglich noch bis in den Winter. Wie wir Zecken loswerden und was wir von ihnen lernen können
■ Der Wunsch: In der sonntaz berichten wir regelmäßig über Themen, die unsere Leser vorschlagen. In dieser Woche kommt die Anregung von Meinhard Schröder. Er hat uns gebeten, dem Thema Zecken und Borreliose nachzugehen. Er fragte unter anderem: „Wie weit sind die Bemühungen um einen Impfstoff gediehen? Wie breiten sich Zecken infolge des Klimawandels aus?“ Vor allem beklagte er ungenaue Diagnosen und mangelndes Wissen: „Die meisten Ärzte haben keine Ahnung von möglichen Symptomen oder bestreiten einen Zusammenhang von bestimmten Symptomen mit Borrelien oder halten alles für möglich, ohne aber zu wissen, wie sie reagieren – sprich: therapieren – können, außer mit hammerharter, unsicherer Antibiotikabehandlung.“
■ Der Weg: Haben Sie auch eine Anregung für uns – oder vielleicht eine Frage? Senden Sie uns Ihre Vorschläge an open@taz.de oder an taz.die tageszeitung, Sebastian Heiser, Rudi-Dutschke-Straße 23, 10969 Berlin.
Seit Menschengedenken ärgern wir uns mit der Zecke herum. Daher hat man das beißende Biest auch schon früh beim Namen genannt. Die neuhochdeutsche Bezeichnung „Zecke“ ist seit dem 11. Jahrhundert belegt. Doch bereits im Althochdeutschen findet sich die Lautform „zechon“, was so viel wie „necken“ bedeutet. Im Mittelhochdeutschen kam der Begriff „zicken“ für „anstoßen“ auf, von dem sich wiederum das schlesische Wort „zickeln“ für „kitzeln“ ableitet. Auch die englische Bezeichnung „tick“ für das Spinnentier liegt hautnah an dem krabbeligen Verb „to tickle“ für kitzeln.
Der Name rührt also von dem Gefühl auf der Haut her, das die Zecke auslöst – im besten Fall so früh, dass sie der auserwählte Wirt rechtzeitig entfernen kann, bevor sie zu saugen beginnt.
Der Name der hierzulande bekanntesten Zecke leitet sich übrigens vom Lebensraum im Unterholz sowie der Widerspenstigkeit der Zecke beim Entfernen ab. Der „Holzbock“ ist eben recht bockig.
PHILIPP BRANDSTÄDTER
Der Umzug
Zecken mögen es warm und feucht. Gut für sie, wenn sich das Klima erwärmt: Wissenschaftler glauben, dass es mit steigender Temperatur in Deutschland bald mehr der Tierchen gibt. Etwa, weil in warmen Wintern Zecken eher überleben. Wie viele uns bald überfallen, weiß keiner: Es gibt zwar vereinzelt regionale Forschungsprojekte, deutschlandweit macht sich die Mühe des Zeckenzählens jedoch niemand.
Bisher musste man von Anfang März bis Ende Oktober mit Zeckenstichen rechnen. Die Spinnentiere beginnen nämlich erst ab etwa sieben Grad Celsius mit der Wirtssuche. Im milden Winter vor fünf Jahren aber fanden Forscher aus Jena aktive Zecken bis Mitte Januar. Wissenschaftler vermuten deshalb, dass uns Zecken künftig, je nach Wetterverhältnissen, das ganze Jahr über verfolgen. Und so auch mit Krankheiten nerven, die sie übertragen.
Mildere Winter und feuchtere Sommer könnten den Zecken auch den Norden schmackhafter machen. Auch mehr durchseuchte Zecken würden dann – auf dem Rücken von Reh oder Wild – gen Norddeutschland wandern. Bisher gab es dort nur vereinzelt FSME-Fälle. Die Hochrisikogebiete für FSME sind bislang Bayern, Baden-Württemberg und Hessen. Das Borreliose-Risiko ist überall in Deutschland gleich hoch. CAROLINE KIEKE
Die Technik
Eine Zecke muss sich vor allem gut festhalten. Schließlich pumpt sie für ihre Verhältnisse enorme Mengen Blut in sich hinein. So wird sie immer schwerer. Und dann wollen die Gestochenen das Tier ja meist wieder loswerden, zupfen und kratzen an ihm rum. Deshalb hat die Zecke eine gute Taktik entwickelt, sich in der Haut ihres Opfers festzusetzen.
So eine Technik bräuchte man auch, um einen schweren Kasten an einer weichen Wand festzuschrauben, dachten sich Markus Hollermann und Felix Förster, damals Studenten an der Hochschule Bremen. Sie schauten sich die Kralltechnik der Zecke ab – und bastelten nach ihrem Vorbild Wanddübel. Solche, die vor allem in weichen Dämmstoffen wie Styropor halten. Mit diesen Stoffen werden heute nämlich viele Hauswände isoliert. Herkömmliche Dübel können da ziemlich schnell versagen.
Die Zecke aber hält sich ohne Probleme in solch weichem Material fest. Ihr Stachel ist mit Widerhaken besetzt, so schützt sie sich beim Eindringen vor dem Rausrutschen. Immer wieder schneidet sie die Haut ihres Opfers auf und dehnt sie – Methoden, die den beiden Bremern als Inspiration für die Dübel dienten.
Ihre neuen Befestigungshelfer haben außerdem zwei Seitenarme, die sich beim Reindrehen ausfahren. Die Idee für diesen Trick kam den Erfindern nun dank der Zikade. Um den Saft aus Pflanzen zu saugen, verankert sich das Insekt mithilfe solcher Halterungsarme.
Für ihre Erfindung gewannen die 28- und 25-Jährigen letztes Jahr den Bionic-Award. Mittlerweile haben sie eine Firma gegründet: die Bioniker. Wann es sie denn zu kaufen geben soll, die Zeckenstiche für die Hauswand, das wissen die beiden noch nicht. MARIA ROSSBAUER
Die Infektion
Die Zecke ist eigentlich ein faules Tier. Sie lässt sich nicht von Bäumen fallen. Sie setzt sich einfach auf die Spitze eines Grashalms oder den äußeren Zweig eines Busches. Wer daran vorbeistreift, egal ob Hund, Reh, Wildschwein oder Mensch, an dem krallt sie sich fest.
Nun sucht sie sich in ihrem neuen Wohnraum den besten Platz. Warm soll es sein und bequem. Beim Menschen ist es das am ehesten in den Achselhöhlen, im Schritt, am Kopf oder im Nacken. Ist sie fündig geworden, ritzt das Spinnentierchen mit seinen Kieferklauen die Haut an, schiebt seinen Stachel rein und leckt Blut ab.
Weil sie bei ihrer Mahlzeit immer wieder Unverdauliches zurück in den Blutgeber würgt, überträgt die Zecke Krankheiten. Am häufigsten: Borreliose. In Deutschland ist schätzungsweise jede zehnte Zecke mit den Bakterien beladen. 2011 wurden bis Mitte September 5.461 Borrelioseinfektionen beim Robert-Koch-Institut gemeldet.
Eine Infektion kann man meist an der sogenannten Wanderröte erkennen: zwei rote Kreisen um die Einstichstelle. Dann können Fieber, Husten, Schnupfen, Muskel- und Gelenkschmerzen oder gar Nervenentzündung folgen – Borreliose kann auch chronisch werden. Bis zum Ausbruch der Krankheit dauert es oft einige Wochen. Dann hilft nur: So schnell wie möglich Antibiotika nehmen. Forscher sind gerade dabei, ein Antibiotika-Gel zu entwickeln, das direkt auf die Wunde aufgetragen werden kann. Impfstoffe gegen Borreliose gibt es nicht, auch wenn einige Firmen daran arbeiten. Gegen die Zeckenkrankheit FSME hingegen kann man sich wirksam impfen lassen.
Deshalb: Bei Wald- und Wiesenspaziergängen keine kurzen Sachen tragen. Insektenabwehrmittel kann – für ein paar Stunden – helfen. Nach dem Spaziergang den Körper absuchen und die Zecke schnell rausziehen. Sie trägt die Borreliose-Erreger im Magen – so dauert es oft mehr als acht Stunden, bis sie diese auf den Menschen überträgt. MARIA ROSSBAUER
Die Eliminierung
Zu Hause bei meinen Eltern hatten wir James, einen Kater, der nach James, dem Geheimagenten, benannt war. Beides Schleichjäger, alle beide große Charmeure, nur einer kastriert. Und wir hatten den Hund Mellon, dessen Name in „Herr der Ringe“ Freund bedeutet und dort als geheimnisvolles Codewort dient. James und Mellon waren Abenteurer. Und sie hatten Zecken.
In Süddeutschland, wo ich aufgewachsen bin, hat man früh gelernt, dass die Zecken einem nicht nur Blut wegsaugen wollen, sondern obendrein noch Viren und Bakterien injizieren können. Also haben wir diesen Fieslingen keine Namen gegeben. Wir haben sie bekämpft.
In der Geheimdienst-Zentrale von James Bond koordiniert Commander M die Einsätze und Q, der Tüftler, schafft die Spezialgeräte zur Bekämpfung des Feindes ran. Bei uns zu Hause kümmerte sich meine Mutter um beides.
Als ich noch kleiner war, eliminierten wir die Zecken mit Spiritus. Dann wurden sie herausgedreht, behutsam wie bei einer Bombenentschärfung. Was nie und nie passieren durfte: dass Kopf und Arme des Tieres stecken blieben. Wir wussten nicht genau, was dann passiert wäre, nur dass es etwa so verhängnisvoll gewesen wäre, wie wenn ein Geheimagent das rote mit dem blauen Kabel verwechselt hätte. Sprengkopfzündung, aus. Dafür nahmen wir ja den Spiritus: Damit die Zecke sich nicht so holzbockig festkrallt.
Doch irgendwann erhielten wir die Information, dass auch der Spiritusschock verheerende Folgen haben kann: Die Zecke würde in der Sekunde des Todes vor lauter Schreck die infektiösen Gifte verspritzen. Die Atomexplosion bleibt zwar aus, aber dafür zündet das Monster die B-Waffen.
Q reagierte mit C-Waffen. Wir kauften Zeckenhalsbänder, sie rochen speziell. Sie waren mit weißem Pulver beschichtet. Griff man den Hund, griff man ins Gift. Darum beschloss der Familienrat, die Halsbänder zu ächten. Und durch Pattex zu ersetzen. Genial: Der Holzbock wird einfach geleimt. Weil er langsam schnüffelnd erstickt, lässt er seine B-Waffen im Depot, so dachten wir. Und wir können ihn gefahrlos entfernen. Leider ergab der Pattexeinsatz meistens eine ziemliche Schmiererei, zumal James ein Langhaarkater war. Das änderte sich auch nicht als – Mauerfall und Umweltbewegung – der Kleber durch natives Olivenöl abgelöst wurde.
Nach der Schule bin ich in den Nordteil des Landes gezogen und habe so das Hochrisikogebiet verlassen. Doch auch in den Wäldern um Berlin gibt es Zecken. Und ich habe Kinder.
Ist aber kein Problem. Denn die Frau, die ich liebe, ist Diplom-Ingenieurin. Sie arbeitet mit Präzisionswerkzeugen des 21. Jahrhunderts. Haben meine Kinder oder ich eine Zecke, öffnet sie ihr Portemonnaie. EC-Karte, Versichertenkarte, Zeckenkarte. Zeckenkarte? Genau. Diese diskrete Plastikkarte hat einen sich verjüngenden Schlitz. Die Zecke fädelt man in den Schlitz ein, dann wird das niedliche Tierchen elegant herausgehoben.
Und eliminiert. GEORG LÖWISCH