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Archiv-Artikel

Islamisten protestieren gegen Trickfilm-Ausstrahlung

TUNESIEN Wütende Demonstranten setzten Fernsehsender unter Druck. Der Grund: Er zeigte den iranischen Comic-Film „Persepolis“

Eine Szene empörte die Islamisten besonders: In ihr wird Gott gezeigt, wie ihn sich das Mädchen vorstellt

Am vergangenen Freitag haben Islamisten in Tunesien zur Demonstration gegen den Fernsehsender Nessma-TV aufgerufen. Der Grund dafür: dessen Ausstrahlung des Zeichentrickfilms „Persepolis“ mit anschließender TV-Diskussion.

Es war bereits das zweite Mal, seit der Privatsender vor einer Woche den in Cannes preisgekrönten Zeichentrickfilm gezeigt hatte. Der Film, der extra ins tunesische Arabisch übersetzt und synchronisiert worden war, erzählt die Geschichte eines kleinen iranischen Mädchens in den Jahren nach der dortigen Revolution, als die Theokraten Stück für Stück die Freiheiten einschränkten und der Gesellschaft ihre traditionellen Werte aufzwangen.

Eine Szene empörte die Islamisten in Tunesien ganz besonders. In ihr wird Gott gezeigt, so wie ihn sich das kleine Mädchen vorstellt – es ist ein bärtiger, alter Mann auf einer Wolke. „Hau ab, ich mag dich nicht!“, schleudert ihm das Mädchen aus Enttäuschung über die Zustände in ihrem Land entgegen. „Gotteslästerung“ sei dies, so die Islamisten. Nicht nur wegen des Dialogs, sondern schon alleine wegen der Tatsache, dass Gott bildlich dargestellt werde. Dies ist im Islam verboten.

In vielen Moscheen des Landes predigten die Imame am Freitag gegen Nessma-TV: Der Sender verletze die Gefühle der Gläubigen. In der Hauptstadt Tunis fand die größte Demonstration statt. Mehrere tausend Menschen, darunter eine größere Gruppe radikaler Salafisten, zogen vor das Kulturministerium, wo es zu Auseinandersetzung mit der Polizei kam. Am selben Abend wurde das Haus des TV-Direktors, Nabil Karoui, mit Brandsätzen angegriffen, Autos wurden zerstört. Einige in der Menge waren mit Eisenstangen und Messern bewaffnet. Karoui war zu diesem Zeitpunkt nicht zu Hause. Sechs Angreifer wurden verhaftet.

Es war der bisher schwerste von den Salafisten provozierte Zwischenfall. Bereits am Sonntag vor einer Woche hatten sie versucht, zwei Studiogebäude von Nessma anzugreifen. Die Polizei verhinderte dies.

Die ganze Aufregung ist umso unverständlicher, als der 2007 in Cannes ausgezeichnete Film „Persepolis“ in Tunesien bereits mehrmals auf Festivals und in Kinosälen lief. Damals protestierte niemand.

In der vergangenen Woche aber haben mehrere Anwälte gar Klage wegen der Ausstrahlung gegen Nessma-TV eingereicht. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch protestierte offiziell gegen die Annahme der Klage durch ein Gericht in der Hauptstadt.

Am Sonntagnachmittag ging die Gegenseite auf die Straße: Rund 2.000 Menschen demonstrierten in Tunis gegen Gewalt und Intoleranz.

„Wir treten für Meinungsfreiheit ein“, beteuerte nach den Vorfällen am Freitag auch Ennahda-Gründer Rachid Ghannouchi. Die als moderat geltende islamistische Partei dürfte aus den Wahlen am nächsten Sonntag als stärkste Kraft hervorgehen.

Wer allerdings mit der zweiten Reihe spricht, bekommt weniger deutliche Distanzierung zu hören. „Es werden doch überall mal Tomaten geschmissen“, beschwichtigt Vorstandsmitglied und Pressesprecher Zouari Abdallah.

Dann wird der langjährige Aktivist, der unter dem im Januar gestürzten Präsident Zine el-Abidine Ben Ali knapp 18 Jahre in Haft saß, deutlicher: Nessma-TV sei ein „antiarabisch-muslimischer Sender, die Demonstrationen ein Erfolg für seine Partei und ihre Wähler. „Wenn das Volk solche Aussagen nicht für richtig hält, dann können sie auch nicht toleriert werden“, sagt er zur Ausstrahlung des Films.

Reiner Wandler, Tunis