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Archiv-Artikel

„Angst vor Statusverlust“

GESPRÄCH Die Reihe „Literatur trifft Wissenschaft“ widmet sich Wirtschaft – und Gefühlen

Sighard Neckel

■ 58, Professor für Soziologie an der Goethe-Universität Frankfurt, wirkt am dortigen Institut für Sozialforschung FOTO: LUIZA PUIU

taz: Herr Neckel, gibt es einen Zusammenhang zwischen den Emotionen und der Ökonomie?

Sighard Neckel: Früher wurde die Wirtschaft durch das Fehlen von Gefühlen gekennzeichnet. Aber wirtschaftliche Konkurrenz war schon immer von Emotionen begleitet. Man hat nur nie stark darauf geachtet. Projektleiter können bei ihren Mitarbeitern beispielsweise viel mehr herausholen, wenn sie sie motivieren können.

Was ist daran neu?

Es gibt Programme der Emotionssteuerung, die früher in der Form noch nicht vorhanden waren. Hirnwissenschaftler haben eine Methode entwickelt, mithilfe derer man bei sich und anderen erwünschte Gefühle hervorrufen kann.

Ist das nicht Manipulation?

Nein, das kann man so nicht sagen. Es wurde irgendwann die Möglichkeit gefordert, eigene Gefühle im Job einbringen zu können. Aus dieser Forderung ist mit der Zeit jedoch eine Erwartung geworden. Die Unternehmen haben sich darunter verändert und stellten schnell fest, dass diese Emotionen und Persönlichkeitselemente, die die Arbeitnehmer heutzutage einbringen, ökologisch hervorragend in Wert gesetzt werden können. Es ist also keine Manipulation, sondern eine Verbindung kultureller Bedürfnisse und wirtschaftlichen Nutzens.

Zusammen mit dem Filmemacher Andres Veiel haben Sie Führungskräfte aus der Finanzbranche begleitet. Was war daran das Überraschendste?

Die Verbreitung von Angst im Finanzwesen: Mir traten keine selbstbewussten Individualisten entgegen, getrieben von ihrer persönlichen Gier. Die Menschen, auf die ich traf, gierten zwar nach der Gewinnmaximierung. Dem zugrunde lag aber eine Angst, Fehler zu machen. Davor, die nächste Benchmark nicht zu erreichen, vor Statusverlust in den Augen ihrer Kollegen.

Hatte das Folgen?

Das führte zu einer Mischung aus Größenwahn und Kleinmut. Letzterer äußerte sich nicht zuletzt in einer Scheu davor, kritisch nachzuhaken oder auch nur Verständnisfragen zu stellen. Dann fallen nämlich Sätze wie: „Solche Leute sind nicht aggressiv genug am Markt.“ Fragen bedeuteten fehlende Coolness und Entschlossenheit. Aus der daraus resultierenden Verzagtheit heraus wurden die wichtigsten finanzindustriellen Probleme oft gar nicht diskutiert. INTERVIEW: SARAH MAHLBERG

„La Soirée – Literatur trifft Wissenschaft“ mit Sighard Neckel und Andres Veiel: 20 Uhr, Nochtspeicher