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Archiv-Artikel

„Dazu einladen, die Stadt zu sehen“

FILM Die New Yorker Künstlerin Holly Zausner zeigt in der Galerie Loock ihren Film „Unsettled Matter“. Ein Gespräch über Manhattan und die moderne Entfremdung – und darüber, wie man eine Stadt leer räumt

INTERVIEW BRIGITTE WERNEBURG

taz: Frau Zausner, 2007 haben Sie Ihren Berlin-Film „Unseen“ im Bode-Museum gezeigt. Jetzt läuft in der Loock Galerie Ihr aktueller Film „Unsettled Matter“, der in Manhattan spielt. Warum beschäftigt sie die Stadt so stark in Ihrer künstlerischen Arbeit?

Holly Zausner: Städte sind sehr komplex in ihrer sozialen, ökonomischen, aber auch architektonischen und kulturellen Infrastruktur. Ich lebe seit den 70ern in New York und seit 20 Jahren im Wechsel auch in Berlin. Stadt ist etwas, was ich kenne.

Auf der Berlinale läuft im Forum Expanded Ken Jacobs Film „Orchard Street“, dessen Material aus dem Jahr 1955 stammt. Der Avantgardefilmer zeigt dort ein dicht bevölkertes Manhattan. 60 Jahre später entwerfen Sie das völlig konträre Bild einer leeren Stadt. Ist das eine dystopische Zukunftsvision? Eine Negation der Stadt?

Nein, es geht nicht um die Negation der Stadt, sondern um einen anderen Weg, sie zu erleben. Die Leere soll dazu einladen, die Stadt überhaupt zu sehen. Wir sind in unserem Alltag viel zu beschäftigt, um die Stadt wirklich wahrzunehmen.

Wenn das richtig ist, scheint auffällig, dass die Stadt fremd aussieht.

Sie muss fremd wirken. Die ein bisschen unheimliche, gespenstische Atmosphäre von Manhattan in „Unsettled Matter“ kommt daher, dass die Stadt ja nie zur Ruhe kommt, es einen leeren Broadway nicht gibt.

Wie haben sie das Wunder ausgestorbener Straßen und Plätze bewirkt?

Das war sehr schwierig. Ich war schon ein wenig erfahren durch meinen letzten Film, „Unseen“, den ich Berlin gemacht habe. Da gab es die leer gefegten Unter den Linden, dank zehn Leuten mit Walkie-Talkies und natürlich ohne Drehgenehmigung. Das geht in New York nicht. Da kommt man echt in Schwierigkeiten. Aber das Büro des Bürgermeisters hat mich, aus welchen Gründen auch immer, sehr unterstützt. Sie gaben mir drei Polizisten. Zusammen mit zehn, teilweise dreißig Studenten mit Walkie-Talkies haben wir den Verkehr angehalten und die Leute am Weitergehen gehindert. Der Verkehr wurde so zwei bis vier Stunden lang gestoppt.

Sie suchen sich Ihre Orte sehr genau aus. Es ist eigentlich immer eine Geschichte mit dem Ort verbunden. Worum geht es?

In der Grand Central Station geht es natürlich ums Reisen, aber jetzt bewegt sich kein einziger Mensch durch die enormen Hallen. Ähnlich ist es mit Bergdorf Goodman und der amerikanischen Obsession, zu shoppen. Beim Film Forum, dem in den 1970er Jahren gegründeten einzigen unabhängigen Kino New Yorks, war für mich das Programm wichtig. Antonionis „L’avventura“ etwa auch, der mit dem neorealistischen Kino bricht und die Geschichte der modernen Entfremdung erzählt. „Chinatown“ ist ein filmisches Gespräch darüber, wie wichtig die Immigration für die Entwicklung der Stadt war und ist.

Natur spielt eine große Rolle in Ihrem Film. Mir scheint, das war nicht geplant. War das eine Entdeckung bei der Aufnahme?

Ja, ich glaube ja an die Idee von der Fügung, darin Magisches zu entdecken, mit ein bisschen Glück. Und der erste magische Moment war der Vogel, der wundersamerweise plötzlich in die menschenleere Straße in Chinatown hineinflog. Von da an sind uns die Vögel immer aufgefallen, besonders in der letzten Szene am Washington Square, wo sie etwas Bedrohliches ausstrahlten. Ähnlich wie das Wasser: Die erste Szene zeigt einen sehr ruhigen East River mit dem Blick zur Brooklyn Bridge, der sehr nostalgisch ist, ein kleiner Dialog mit dem Manhattan von Woody Allen. Dann kommt die letzte Szene am Washington Square, wo die Fontäne zuerst sehr prächtig ausschaut, bis sie ganz schwarz wird und man eine Explosion von Erdöl zu sehen glaubt. Da fangen dann schon die Fragen an: Warum ist die Stadt leer? Ist etwas Schreckliches geschehen?

■ „Holly Zausner – Unsettled Matter“: Loock Galerie, Potsdamer Str. 63, bis 7. März, Di.–Sa. 11–18 Uhr