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Archiv-Artikel

Jenseits von Bollywood

INDISCH In „Bombay Diaries“ von Kiran Rao wird im Bremer City 46 eine Romanze auf eine im indischen Film ungewöhnliche Weise erzählt, also ohne Tanz und Gesang

VON WILFRIED HIPPEN

Auch für Inder kann Bombay ein exotischer, zugleich beängstigender und verlockender Ort sein. Dies macht die Filmemacherin Kiran Rao gleich zu Beginn von „Dhobi Ghat“ klar, wenn sie den Film mit den verwackelten Bildern einer Digitalkamera beginnen lässt, die eine junge Frau aus einem Taxi heraus aufnimmt, das im Monsunregen durch den chaotischen Verkehr der Stadt kreuzt. Im Off erzählt sie dem Fahrer, dass sie gerade aus der Provinz Uttar Pradesh in die Metropole gekommen sei, ein Mädchen bettelt um ein paar Rupien und ruft begeistert all seine Freunde, als sie sieht, dass die Kamera auf sie gerichtet ist. All das ist offensichtlich neu und aufregend für die Frau, die diese Aufnahmen macht. Wer sie ist und warum diese Bilder so wichtig für sie sind, wird erst viel später in diesem Film deutlich, der sich schon durch diesen Beginn von den traditionellen Filmen aus Indien radikal unterscheidet.

Denn in den ersten Minuten scheint hier eher flaniert als erzählt zu werden. Die Kamera folgt wie zufällig einigen Figuren: zuerst einem jungen Maler und dann einem Dhobi, also einem Jungen aus niederer Kaste, der für andere wäscht und ähnliche Dienstleistungen verrichtet.

Nachdem er beinahe von einem Auto überfahren wird, macht die Kamera einen Schwenk und folgt ein paar Minuten lang der Frau, die in dieser Limousine gefahren wird. Dies könnte gut eine Hommage an Richard Linklater sein, der in „Slacker“ genau so von Protagonist zu Protagonist wechselt. Doch spätestens, wenn die Frau und der Maler sich treffen, wird klar, dass die verschiedenen Stränge dann doch zu einer Liebesgeschichte verwebt werden.

Sie ist Shai, Tochter eines reichen Bauunternehmers, die in den USA als Bankerin arbeitet und für ein paar Monate als Fotografin in ihrer Heimat arbeiten will. Er ist Arun, ein erfolgreicher, moderner Künstler, den Gerhard Richter als Plagiator verklagen könnte. Beide treffen sich auf einer Vernissage, enden zusammen im Bett und erleben am nächsten Morgen ein raues Erwachen. Er ist ruppig, sie verletzt, und da sie als eine sehr schöne Frau nicht gewohnt ist, so behandelt zu werden, wird sie zu einer milden Art von Stalkerin, die ihn verfolgt, beobachtet, fotografiert. Der junge Munna wäscht für beide die Wäsche, er verliebt sich in Shai und missversteht ihre Faszination für sein so ganz anderes Leben als Zuneigung. Diese Dreiecksgeschichte wird ein wenig behäbig und vorhersehbar erzählt. Da gibt es zu viele Nahaufnahmen der attraktiven Darsteller (Arun wird vom Bollywoodstar und Ehemann der Regisseurin Aamir Khan gespielt), die nachdenklich, versonnen oder wehmütig in die Ferne blicken. Interessant ist dagegen, dass Kiran Rao hier zwar im Stil westlicher Romanzen inszeniert, bei der einzigen richtigen Liebesszene aber schnell alles unscharf werden lässt, sodass das wichtigste Tabu des indischen Kinos (kein Kuss) gewahrt bleibt.

Nachdem Arun in seiner neuen Wohnung eine Handvoll Videokassetten von den Vormietern Jasmine findet, wird auch klar, wer die Aufnahmen vom Beginn des Films gemacht hat. Arun ist fasziniert von dem gefilmten Tagebuch der jungen Frau, deren Blick auf die Stadt ihn bei seiner Arbeit inspiriert. Die vier Protagonisten, alle zwischen 20 und 30 Jahre alt, verbindet ihr medialer Blick: Arun malt, Shai fotografiert, Jasmine filmt und Munna träumt von einer Karriere als Filmstar. Sie alle sind Fremde in der Stadt, die sie sich mit ihren Medien zugleich vom Leib halten und aneignen. Nicht durch die Liebesgeschichte, sondern auf dieser Ebene vermittelt „Bombay Diaries“ etwas vom Lebensgefühl junger Menschen in der Metropole. Diese heißt für die wohlhabenden, englisch sprechenden Inder übrigens immer noch in Englisch Bombay und nur die Armen wie Munna nennen sie in Hindi Mumbai.