Sportliches Krautrocktrio versus tanzbares Noiseduo

KONZERT Im gut gefüllten „Marie Antoinette“ spielten die Lokalmatadore Camera gegen die Australier Civil Civic unentschieden

Camera spielen im Durchschnitt alle drei Tage irgendwo in Berlin. Weitere Konzerte sollen folgen

95 Konzerte innerhalb von zehn Monaten zu geben ist eine sportliche Leistung. Im Schnitt sind das zwei Konzerte pro Woche oder ein Konzert alle drei Tage. Die Berliner Band Camera meistert diesen Kraftakt scheinbar problemlos. 95-mal spielte die Band ihr Set in diesem Jahr bereits live. Das behauptet zumindest ihre Myspace-Seite. Noch eindrucksvoller erscheint diese Zahl, wenn man sich vor Augen führt, dass das Trio ohne Label unterwegs ist und die Stadtgrenzen bis jetzt kaum verlassen hat.

Am Mittwoch setzte die Band ihren Konzertmarathon im „Marie Antoinette“ fort, wo sie vor den australischen Noiserock-Headlinern Civil Civic antrat. Ermüdungserscheinungen waren beim 96. Konzert nicht zu spüren. Ganz im Gegenteil spielten Franz Bargmann, Timm Brockmann und Michael Drummer im gut gefüllten Club ein weiteres überzeugendes Konzert.

Minimalistische Dynamik

Camera ist eine mitreißende Liveband. Die Band spielt psychedelisch-ekstatische Rockmusik, die in guten Momenten an Krautrockbands wie Neu! oder Can erinnert. Hervorzuheben wäre vor allem das reduktionistische Schlagzeugspiel Michael Drummers, dem es gelingt mit nichts anderem als einer Snaredrum, einer Standtom, einem Becken und einem Tambourine Dynamik zu erzeugen. In der Bühnenmitte lokalisiert, bildet sein Getrommel das rhythmische Fundament für Orgel und Gitarre.

Der Live-Charakter der Band wird durch die Tatsache unterstrichen, dass Camera bisher noch kein Album veröffentlicht haben. Wer ihre Musik hören will, muss zu den Konzerten kommen. Wenn man eines versäumt hat, muss man sich keine Sorgen machen. Auch in Zukunft gibt es zahlreiche Möglichkeiten, die Musik von Camera auf der Bühne zu bestaunen.

Zwar haben Civil Civic in diesem Jahr noch keine 95 Konzerte gespielt. Die Darbietung des aus Aaron Cupples und Ben Green bestehenden Duos stand ihrer Vorband jedoch in nichts nach. Ihr extrem tanzbares Set nahm mit jedem Stück mehr Fahrt auf. Von den zurückhaltenderen Klängen am Anfang des Konzerts spielte sich die Band über noisige Punksongs à la Death from Above 1979 bis zu ihren hymnenhaften Stücken vor. Ihr Hit „Run Overdrive“ rundete ihre Konzert ab.

Hauptattraktion bei Civil Civic war ebenfalls die Rhythmussektion. Von Cupples und Green liebevoll „The Box“ getauft, handelt es sich hierbei um einen Konzertkoffer, der zu einem Drumcomputer mit integrierter Lichtanlage umfunktioniert wurde. Wie Camera-Schlagzeuger Michael Drummer bildete auch „The Box“ das Zentrum der Bühnenshow. In ihr Gerät programmierten die beiden ihre straighten Beats und Synthiepop-Melodien ein.

Die Bühnenperformance ist aber nur ein Aspekt, der die australische Band interessant macht. Civil Civic sind Kinder des digitalen Zeitalters. Dafür spricht zum einen die Art, wie sie ihr Album aufgenommen haben.

Da Green in Barcelona lebt und Cupples in London, entwickelten die beiden ihr Debütalbum „Rules“ via Internet. Zum anderen nutzten sie die Kommunikationskanäle des Internets, um ihr Album auf Vinyl veröffentlichen zu können. Da sich kein Label fand und in der Bandkasse nicht genug Geld war, fragten sie ihre Fans, ob sie die Platte schon im voraus bezahlen wollen. 200 Fans folgten diesem Aufruf und legten ihr Geld für die Band aus.

Vielleicht ist diese Begeisterungsfähigkeit gerade das Faszinierende an Civil Civic. Das Publikum im „Marie Antoinette“ jedenfalls wollte die Band gar nicht von der Bühne lassen.

LUKAS DUBRO