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Archiv-Artikel

Blut am Rücken des Gladiatoren

Sie liebten Details, auch wenn die eigentlich nur für die Ewigkeit bestimmt waren: Von den geschickten Grabmalern von Paestum handelt eine Hamburger Ausstellung, die erstmals komplette Gräber präsentiert. Deren wichtigste Motive: Heimkehrende Krieger und aufgebahrte Frauen

VON PETRA SCHELLEN

Ja, dies ist eine Event-Ausstellung. Wenn auch keine von der lauten Sorte. Keine, in der flächendeckend Video-Gedudel durch die Räume wabert und bunte Fähnchen wehen. Aber es ist eine Schau, die einen gezielten Tabubruch betreibt und die Besucher dabei unversehens an den Rand des Grabes bringt. Das ist ganz wörtlich gemeint, hat Bernard Andreae, Kurator der Hamburger Schau „Die Gräber von Paestum“, doch bewusst die bis dato nur einzeln ausgestellten Grabplatten wieder zu kompletten Gräbern zusammensetzen lassen.

So kann der Besucher im Bucerius Kunst Forum jetzt live erleben, was die Trauernden südlich von Pompeji einst taten, er kann jene teils skizzenhaften, teils flächig ausgemalten lukanischen Fresken an den Innenseiten der Kastengräber betrachten, die eigentlich nie wieder geöffnet werden sollten. Einst – das heißt im 5. Jahrhundert v. Chr., als die italischen Lukaner das griechische Gebiet besetzten und recht zügig dessen künstlerische Ausdrucksformen übernahmen.

Ein weiterer Kniff der Ausstellungsmacher: die weitgehende Missachtung der Tatsache, dass Paestum seit Mitte des 18. Jahrhunderts eher für seine antiken Tempel bekannt ist. Deren Abbilder, auch von Goethe euphorisch besungen, prangen zwar pflichtschuldigst in Gemälden und Stichen des 18. und 19. Jahrhunderts an den Wänden. Abgesehen davon wird der Blick des Besucher aber weniger nach oben, als in die Tiefe gelenkt: Eine aus sieben komplett zusammen gesetzten Särgen bestehende Nekropole hat das Bucerius Forum installiert. Sie kann schon deshalb nur hier gezeigt werden, weil sie so schwer ist, dass nur das für schwere Goldschränke konzipierte Gebäude einer ehemaligen Bank die Lasten tragen kann. Zwei Tonnen wiegt jede der mit rot-gelb-braun-schwarzen Fresken versehenen Kalksteinplatten aus Paestum, die teils sogar zu mit Giebeln versehenen Häusern zusammengesetzt wurden.

Nun ist es an sich nichts Ungewöhnliches, eine solche Grabanlage zu betrachten. Auch nicht, darin heimkehrende Krieger und aufgebahrte Frauen abgebildet zu finden. Beklemmend ist aber, dass hier erstmals authentische Gräber nachgebaut wurden, wie sie nicht einmal im Archäologischen Nationalmuseum von Paestum zu sehen sind: Auch dessen Statik trüge eine solche Last nicht, weshalb man die Platten einzeln im Keller präsentiert.

Weiteres Hamburger Alleinstellungsmerkmal: Wie in mehreren archäologischen Ausstellungen zuvor – etwa der Schau über die Etrusker und der über hellenistische Kunst an der Seidenstraße – hat das Bucerius Forum mit den fast unbekannten Lukanern wieder einmal eine künstlerische Grenzregion beschritten, über deren Relevanz sich streiten lässt. Denn ganz offensichtlich ist das, was die Lukaner malten, ein Stilgemisch, das die griechischen Vorbilder kaum verhohlen kopiert und gelegentlich um eigene Motive bereichert. Außer Zweifel steht auch, dass diese Kunst wenig innovativ war, als Scharnier aber durchaus interessant: Entstammt ein Element, eine Figur, eine Geste der griechischen oder der italischen Tradition? Haben die Lukaner Stilelemente der Etrusker übernommen?

Das sind natürlich Spezialistenfragen – aber sie bergen Unterhaltungswert. Schnell fühlt man sich in ein „Schau genau“-Spielchen hineingezogen und verfängt sich lustvoll im Detail: Stellten die Griechen aufgebahrte Frauen dar (nein), war die Darstellung heimkehrender Krieger eine lukanische Spezialität (ja).

Unbestritten ist trotz des kompletten Fehlens literarischer Zeugnisse über die Lukaner aber eins: Der Tod galt ihnen genauso wenig als Endstation wie den Griechen, sondern sehr konkret als Zwischenhalt. Nicht nur, dass die Fresken in den Gräbern sämtlich Szenen des irdischen Alltags zeigen und in ein ähnlich konkretes Jenseits weisen. Auch die Grabbeigaben zeigen, dass man fest an die persönliche Weiterentwicklung im Jenseits glaubte. Da gab man einer Unverheirateten eine Art Aussteuer mit ins Grab, weil sie vielleicht noch heiraten würde. Und ein Kind bekam Erwachsenenutensilien mit in die Ewigkeit.

Dass neben Sieg- und Aufbahrungsszenen Wettkämpfe und Trauerspiele dargestellt wurden, die die Hinterbliebenen ablenken sollten, verwundert nicht sehr. Auch, dass das Stöhnen der Gladiatoren, die einander effektvoll verwundeten, durch Flötenspiel übertönt wurde, entzückt eher, als zu überraschen. Erstaunlich ist aber, dass die Bilder, die in großer Eile entstanden, oft so akkurat daher kommen. Fein skizziert sind die Gesichter der Klagefrauen eines Damengrabes, mit fast modernen Schattierungen hat man die Körper der Kämpfer ausgestattet – wenn auch die Lukaner die perspektivische Malerei nicht erfanden.

Warum sie in solcher Hektik malten? Weil die hier präsentierten Gräber sämtlich jung Verstorbenen galten und es als Unglück bringend galt, ein Grab „auf Vorrat“ zu gestalten. Weil die Toten in südeuropäischer Hitze andererseits binnen eines Tages beerdigt werden mussten, musste man schnell sein. Will heißen: Maximal 24 Stunden hatten die Grabmaler für ihre Illustrationen, für die sie auf einen festgelegten Kanons zurückgriffen.

Festgelegt sind auf den Fresken auch die Rollen der Geschlechter: Die Männer kehren stets siegreich aus der Schlacht heim. Die Frauen empfangen sie oder liegen – in ihren eigenen Gräbern – tot und aufgebahrt da. Fast humorvoll haben die Maler dabei übrigens Details verewigt: den exakten Abdruck, den die blutige Hand auf dem Rücken des rivalisierenden Kämpfers hinterließ. Und auf einer Platte des „Grabes der großen Toten“ hält eine Bestatterin der monströsen Verstorbenen einen Spiegel an die Lippen, um sicher zu gehen, dass sie nicht scheintot ist.

Abgesehen davon variieren Details wie Schattierung und Sortierung der Pferdebeine von Grab zu Grab. Details, die man in Hamburg sehen kann, um die damals aber nur der Maler wissen konnte, waren doch nie zwei Gräber gleichzeitig geöffnet.

Auch eine Entwicklung von der Skizzenhaftigkeit zur Dreidimensionalität will Kurator Andreae ausgemacht haben. Die bemerkt aber nur, wer die Gräber im Bucerius Forum in einer bestimmten, ausgeklügelten Reihenfolge umwandert. Tut man das, eröffnen sich in der Tat spontane Erkenntnisse – etwa die, dass die lukanischen Maler sehr wohl wussten, wie sie ihren Werken Geltung verschafften. Eigens um die Szenen zu erhöhen und optisch nicht vom Leichnam verdecken zu lassen, haben sie Sockel erfunden, auf die sie ihre Figuren stellten.

Die kann man natürlich auch als wegweisendes Element des Bildaufbaus deuten. Näher liegt aber der Verdacht, dass die Hinterbliebenen wenigstens während der Zeremonie die Qualität der gut erhaltenen Fresken genießen sollten. Außerdem trug der Anblick des prächtigen Jenseits erheblich zur Tröstung der Trauernden bei: Wenn es dem Verstorbenen schon jetzt so gut ging im Jenseits da unten: Warum sollte es einem selbst dereinst dort schlechter gehen?

Bis 20. 1. 2008 im Hamburger Bucerius Kunst Forum.