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Archiv-Artikel

Am Ende zu eitel für Gott

MEMOIREN Christopher Hitchens – ein egozentrischer Denker, für den es keine Gewissheiten gibt

Wegen seiner scharfen, in bester Polemik dargebotenen politischen Analysen wird er von der „New York Times“ das „geistige Schweizer Messer“ genannt

VON DORIS AKRAP

Wendehals, Arschkriecher, Kriegstreiber, Rassist, CIA-Agent, Israel-Lobbyist, es gibt kaum einen Vorwurf aus der Linken, den Christopher Hitchens nicht auf sich gezogen hätte. Und von Noam Chomsky bis Edward Said gibt es auch kaum jemanden aus dem angelsächsisch linksliberalen Milieu, in dem er groß geworden ist, den er sich nicht zum Feind gemacht hätte. Vor allem deswegen, weil er den Krieg gegen Saddam Hussein 2003 verteidigte und bis heute daran festhält, dass dies die einzige Option war, den Irak von dem Diktator zu befreien. Mitnichten hat Hitchens’ Haltung allerdings damit zu tun, dass er der Macht oder gar dem damaligen US- Präsidenten George W. Bush in den Arsch kriechen wollte. Hitchens kannte die Zustände im Irak Saddam Husseins aus eigener Anschauung und sah in Saddam Hussein trotz unauffindbarer Massenvernichtungswaffen einen Verbrecher, weil die ehemalige Bagdader Regierung den Beweis ausgeblieben sei, „dass sie keine genozidale, paranoide und größenwahnsinnige Version der Sopranos“ gewesen ist.

Nichts davon nimmt der prominente US-amerikanische Kolumnist, Essayist und Literaturkritiker in seiner vergangenes Jahr in den USA und nun auf Deutsch erschienen Autobiografie „The Hitch“ zurück. Den einzigen Fehler, den er sich als Sohn eines britischen Marinekommandanten eingesteht, ist, nicht rechtzeitig die „strafwürdige Inkompetenz der Bush-Regierung“ angeprangert zu haben.

Aber der 62-Jährige hat in seinen Memoiren einiges zu berichtigen, beispielsweise, dass er den Irak für „befreit“ hält, dass er den „unzulänglichen“ Begriff „Islamofaschismus“ erfunden hätte – er habe lediglich als Erster kurz nach 9/11 von einem „Faschismus mit islamischem Antlitz“ gesprochen – oder dass er ein Suffkopp sei – er trinke nie vor 12.30 Uhr einen Scotch – oder dass er aus einer britischen Mittelklassefamilie stamme – nach dem Tod der Mutter erfuhr er, dass sie aus einer polnisch-jüdischen Familie stammt – oder dass er seine Memoiren geschrieben habe, weil er wusste, dass er stirbt – dass er Speiseröhrenkrebs im Endstadium hat, erfuhr er erst nach Drucklegung.

Hitchens wurde einst von den Linken für seine bissigen Attacken gefeiert: Henry Kissinger nannte er einen Kriegsverbrecher, Mutter Teresa einen „Ghul von Kalkutta“ und Bill Clinton einen Vergewaltiger. In den letzten Jahren verdanken ihm die Neuen Atheisten um Richard Dawkins einiges an intellektueller Substanz für ihren Aufklärungsfeldzug. An Gott zu glauben, schreibt Hitchens in seiner Biografie, verbiete ihm seine Eitelkeit. Dass er nur Teil eines göttlichen Plans sein soll: „Für diese Art der Selbstbescheidung bin ich zu arrogant.“ Wegen seinen scharfen, in bester Polemik und mit viel ironischem Talent dargebotenen politischen Analysen wird er von der New York Times das „geistige Schweizer Messer“ genannt.

Hitchens ist wegen seiner Bühnenqualitäten regelmäßiger und berüchtigter Talkshowgast, Buchautor und einer der bekanntesten Kolumnisten in den USA. Er schreibt für Vanity Fair, The Atlantic oder The Nation. Letzteres tat er 20 Jahre lang, bis es nach den Debatten um 9/11 zum Bruch kam. Doch war es nicht erst in der Folge von 9/11, als Hitchens, ehemaliger Trotzkist und Vietnamkriegsgegner, seine Kritik an der Linken entwickelte. Es waren die verhaltenen Reaktionen der Linken auf die Fatwa des iranischen Ajatollah Chomeini gegen Salman Rushdie. Nur wenige, wie Susan Sontag, hätten sich mit Rushdie solidarisiert, die meisten sich dahinter versteckt, dass der Autor es vielleicht ein wenig übertrieben hätte mit dem Angriff auf den Islam.

Neben dem britischen Autor Martin Amis gehört Salman Rushdie zu denjenigen, für die Christopher Hitchens nicht nur große intellektuelle Bewunderung hegt, sondern die auch zu seinen engsten Freunden gehören. Hitchens garniert seine Thesen nicht nur in seinen Memoiren stets mit theoretischen und philosophischen Klassikern von den antiken Griechen über Karl Marx bis Paul Valery und den britischen Dichtern W.H. Auden oder James Fenton.

Doch die meisten seiner Objekte, über die er sich eine Meinung bildet, hat er nicht nur am Schreibtisch kennen gelernt. Hitchens hat ein „Leben auf Tuchfühlung“ geführt. Er war 1968 auf Kuba, in den 70ern in Simbabwe, Argentinien und Marokko, er war in den 80ern in Nicaragua und bei der Revolution 1989 in Rumänien, 1992 im belagerten Sarajevo, er unterzog sich in einem Selbstversuch dem Waterboarding und beschrieb es als „Folter“.

Der deutsche Untertitel „Geständnisse eines Unbeugsamen“ seiner Memoiren schießt direkt am Ziel vorbei. Denn Hitchens geht es nicht im Geringsten darum, irgendetwas zu gestehen. Er hat, wie er schreibt, immer an zwei Fronten gleichzeitig gekämpft, versucht, unvereinbare Ideen in ein und demselben Geist wach zu halten. Zugegeben, Hitchens ist sicher keiner, den man sofort sympathisch findet. Aber alle seine politischen Interventionen verfolgten immer den Zweck, absolute Gewissheiten, Totalitaristen und Relativisten zu bekämpfen. Zweifel und Selbstkritik gehören nicht erst seit Karl Marx zu den vornehmsten Tugenden eines linken Intellektuellen. Und anders als viele Linke hat Hitchens recht, wenn er schreibt: „Zur Fraktion der Skeptiker zu gehören ist ganz und gar nicht der Weg des geringsten Widerstands.“

Christopher Hitchens: „The Hitch. Geständnisse eines Unbeugsamen“. Aus dem Englischen von Yvonne Badal. Blessing Verlag, München 2011, 671 S., 22,95 Euro