: Geerbtes nicht behalten
VORWÄRTS Ausgezeichnet: Die Stiftung Zurückgeben fördert jüdische Kultur
Mitte der neunziger Jahre war es: Ein paar Frauen, die meisten über fünfzig, trafen sich in einer Berliner Wohnung. Sie saßen um einen alten Tisch und überlegten, was sie mit Erbstücken tun sollen, die sie nun zwar besaßen, die sie aber, so vermuteten sie, nie hätten besitzen dürfen. „Zurückgeben“, lautete am Ende die Antwort. Nur wie? Und an wen?
Die Frauen, darunter die Erziehungswissenschaftlerin Hilde Schramm und die Psychologin Christine Holzkamp, vermuteten, dass die Sachen – Möbel, Gemälde, Bücher – die sie geerbt hatten, vor der NS-Zeit und dem Holocaust jüdischen Bürgern und Bürgerinnen gehört hatten und dass ihre Eltern oder Großeltern diese Dinge, wenn nicht unrechtmäßig, so doch erheblich unter Wert erworben hatten.
Eine halbe Million Juden und Jüdinnen wurden während der NS-Herrschaft in Deutschland ihrer Existenz beraubt und später vielfach ums Leben gebracht. Mit immer weiter reichenden Abgabezwängen bis hin zur Enteignung riss der NS-Staat jüdischen Besitz systematisch an sich. Ein Großteil dieses Besitzes gelangte in die Hände von NS-treuen Deutschen. Inzwischen sind diese Dinge und Kunstwerke auch an nachfolgende Generationen weitergereicht worden. Wie die Gemälde, die Hilde Schramm besaß.
Das Zurückgeben lösten die Frauen, die am Tisch zusammensaßen, dann so: Sie verkauften die Gegenstände und gründeten vom Erlös eine Stiftung, die Stiftung Zurückgeben. Diese wird nun am Sonntag mit dem Ossip-K.-Flechtheim Preis des Humanistischen Verbands geehrt, der für den Einsatz für Menschenrechte verliehen wird.
Zweck der Stiftung sollte es sein, durch finanzielle Förderung dazu beizutragen, dass sich jüdisches Leben in Deutschland wieder neu entwickeln und etablieren kann. Weil es eine kleine Stiftung ist, entschieden die Gründerinnen, dass das Geld insbesondere jüdischen Frauen für ihre kulturellen und wissenschaftlichen Projekte zukommen soll. „Frauen haben es in der Regel schwerer, Mittel für ihre Kunst und Forschung aufzutreiben“, sagt Holzkamp.
In einem Café im ehemaligen Scheunenviertel sitzen Alina Gromova und Stella Hindemith. Judaistin die eine, die andere hat Amerikanistik studiert. Die zwei kaum Dreißigjährigen, beide mit kleinen Kindern, sind vor kurzem in den Vorstand der Stiftung Zurückgeben gewählt worden. Bewusst wird der Generationswechsel gesucht, um so den Fokus auf die Gegenwart, wie er im Stiftungszweck verankert ist, zu stärken. „Wenn es um Juden und Jüdinnen geht, wird in Deutschland immer in der Vergangenheit gedacht“, sagt Gromova, die in der Ukraine geboren wurde und über Israel siebzehnjährig nach Deutschland kam. Bis in die neunziger Jahre sei diese rückblickende Auseinandersetzung mit Holocaust und Verfolgung auch von den meisten in Deutschland lebenden Juden und Jüdinnen so vertreten worden. Misstrauisch habe man auf gepackten Koffern gesessen.
Gromova selbst hat das nicht mehr so erlebt. „Heute“, sagt sie, „ist eine andere Perspektive“ – eine nach vorn. Denn seit den Neunzigern sucht eine neue Generation jüdischer Nachkommen in Deutschland die Normalität. Auch Stella Hindemith thematisiert ihre jüdische Herkunft mit Blick auf die Gegenwart. Und Zukunft. „Das will die Stiftung auch. Sie fördert das, was jüdische Frauen in Kunst, Wissenschaft und Kultur jetzt leisten.“
Es sind kleine Beträge, die man bekommen kann. Die Ausarbeitung eines Exposés für einen Film, eine wissenschaftliche Arbeit kann damit vorangebracht werden, ein Zuschuss für den Druck eines Buches, die Herausgabe einer CD. Über 60 Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen wurden seit 1996 unterstützt. Auch Gromova gehört dazu. Sie bekam Geld für ihre Dissertation über junge Juden in Berlin. TEXT UND INTERVIEW:
WALTRAUD SCHWAB