: Die Richtung stimmt
Allen Schnickschnack weggelassen: Mit einem schwarz verklinkerten Kubus, der nicht selbst Skulptur sein will, hat Bremerhaven seit Anfang des Monats sein neues Kunstmuseum. Zu sehen sind darin nun Porträts des Fotografen Benjamin Katz und die Remix-Serie seines Malerfreundes Georg Baselitz
AUS BREMERHAVEN BENNO SCHIRRMEISTER
Diese Augen. Eisblau, hinter rötlicher Hornbrille, ausgeprägte Lachfalten, und ein Blick, der sowohl spöttische Distanz als auch glühende Begeisterung heißen könnte, vielleicht beides zugleich bedeutet, obwohl das unmöglich scheint.
Aber Jürgen Wesseler ist ohnehin eine unmögliche Figur. Es ist einfach nicht möglich, dass da einer während seines Berufslebens im Stadtplanungsamt gesessen hat – das ist schon eine Weile her –, unter dem fehlgeleiteten Gestaltungswillen megalomaner Provinzpolitiker leidet – wir befinden uns in Bremerhaven – und nebenher als Weltklasse-Kurator wirkt. Es ist nicht möglich, dass da ein Beamter einer im Argen liegenden Stadt dem örtlichen Kunstverein Anschluss an die Avantgarde verschafft, indem er auf 40 Quadratmetern neben der Kunsthalle seinen privaten Ausstellungsraum betreibt, das Kabinett für aktuelle Kunst, wo er Anfang der 1970er Gerhard Richter zeigt, schon Ende der 1960er Blinky Palermo, im Jahr 2000 Gregor Schneiders erste Einzelausstellung kuratiert, Isa Genzken Mitte der 1970er auftreten und On Kawara für sich arbeiten lässt, Balkenhol, Rückriem, Wiener, Knoebel – Herrgottnocheins! – all jene entdeckt, die in der übrigen Kunstwelt zwei, drei oder auch 20 Jahre später immer noch als Insider-Tipps gehandelt werden. Die jetzt auf dem Markt Höchstpreise erzielen. Dass er das, immer, vorher schon sieht, seine Augen sich nicht täuschen lassen, über 40 Jahre lang schon, ein unfehlbarer Blick – wie soll denn das möglich sein?
Trotzdem steht er da, lässt sich fotografieren, ungeduldig-geduldig, mühsames Lächeln, hinter ihm sein neuester Coup, das Kunstmuseum Bremerhaven: ein schwarz-verklinkerter Kubus, fensterlos, der nichts anderes sein will als ein schwarz verklinkerter Kubus.
Wesseler hat ihn nicht allein da hingestellt, aber man darf sagen: Ohne Wesseler würde er nicht da stehen, geschweige denn so nüchtern, direkt und – für einen Museumsneubau – sensationell billig: 1,8 Millionen Euro hat das Gebäude am Theodor-Heuß-Platz gekostet, man hat sich einfach angehängt an ein Projekt der Sparkasse, die nebenan ein Gewerbe- und Dienstleistungszentrum samt Lichtspielhaus plante. Die Kino-Architekten haben dann auch den Museumswürfel skizziert, in gleicher Manier. Und nach Wesselers Geschmack: Ein gewisser Ekel lässt sich nicht überhören, wenn er über neuere Kunsthallen spricht, die versuchen, selbst Skulptur zu sein.
Die Stadt ist gerade 180 Jahre alt geworden, der Kunstverein 121, und seine Gründung war ein erstes Abnabelungssignal an Bremen: Die Bremerhavener Bürger wollten selbst entscheiden, wie das Denkmal für Bürgermeister Johann Smidt aussehen sollte, das dort seit 1888 steht. Smidt hatte seinerzeit auf Schloss Derneburg bei Hildesheim dem Königreich Hannover das Stück Land an der Wesermündung abgehandelt. Die Verträge sind so etwas wie die Geburtsurkunde Bremerhavens. Bis Februar 2006 gehörte das Schloss dem Maler Georg Baselitz, häufiger Gast in seinem Atelier war der Fotograf Benjamin Katz. Und „Baselitz – Katz“ heißt, spartanisch, nüchtern, wahr die Ausstellung, die das neue Kunstmuseum eröffnet. Sie zeigt neueste Gemälde des Großkünstlers und sehr dichte schwarz-weiß Porträts, aufgenommen bei der Arbeit im Atelier. „Die Richtung stimmt“ ist ihr Untertitel, Eröffnung war am 7. Oktober.
Hinein durch die Glastür, an der Schwelle hockt ein Mann im Overall. Scharfer Geruch von Industriekleber und Styroporkügelchen wehen ins Entrée, „da muss man gleich mit der Maschine durchgehen“, sagt Wesseler zur Frau an der Kasse. Es ist eine Feststellung, die auch ein Befehl ist.
Fußleisten gibt es, oder besser: Platten aus brüniertem Stahl, flach vor den Mauern – industrieller Charme. Der erste Museumsraum hat einen nahezu quadratischen Grundriss, und während die übrigen Wände weiß verkleidet sind, herrscht hier das Grau des Sichtbetons – mal hellfleckig, mal schattiert, Kiesstrukturen und, roh, Belüftungsbuchsen. Eine unpopuläre Entscheidung. „Das ist mir gleich“, sagt Wesseler. „Ich liebe so eine gewisse Härte.“
Eine wuchtige Eröffnung: Gehängt sind hier ein einziges Foto und ein Gemälde, „Auftritt am Sandteich“, kolossale zwölf Quadratmeter Leinwand ohne Grundierung. Diese heftig schnellen Striche, waagerecht Blau, Aussparungen, Grün, Baumstrukturen in Braun, vertikal, Lichtgelb und schwarze flächige Übermalungen. Eine Irritation: Im unteren Bilddrittel eingekratzt die Jahreszahl 1953, da war Baselitz 15 Jahre jung. Dabei ist die Ölfarbe noch längst nicht durchgetrocknet: Gemalt hat Baselitz das 2006, kurz bevor er die Derneburg gen Ammersee verließ, nach über 30 Jahren. Das Bild gehört zur Serie „Remix“, und der Maler bezeichnete diese Reprisen seiner Frühwerke als Test, „ob es mir noch gelingt, mich auf diese Höhen zu schwingen, auf denen ich mal war“. Das bedeutet einerseits: die Gültigkeit von Bildern bestätigen, bis ins frühe Frühwerk vorzuverlagern. Vor dem Durchbruch, 1967, soll die Vorlage von „Zwei Meißener Waldarbeiter“ entstanden sein. Wie sah sie wohl aus?
Andererseits ist es ein Weg der Reduktion: Sattgelb, fast golden mit tiefem Blau, das ist die Erinnerung an die „Mädchen von Olmo“ aus den 1980ern. Und nun, 25 Jahre später, billigt Baselitz von ihnen kaum mehr als die Kopfüber-Komposition der Sitzenden. Das Weiß dringt vor, gekreuzt von schwarzen Linien und nur am Rande transparent die Farbe.
„Wir sind“, sagt Wesseler über die Bauarbeiten, und dabei scheinen die Augen wirklich zu leuchten, „immer strenger geworden“. Man habe „jeden Schnickschnack weggenommen“. Später, ab Januar, wird – erstmals – in den neuen Räumen die Sammlung des Kunstvereins zu sehen sein. Die Ausstellung hat die Stadt dem Verein zur Eröffnung geschenkt. Von der Richtung her passen Bau und Werke zusammen, sind wie für einander geschaffen. Und die Richtung stimmt.