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Archiv-Artikel

Neue Pillen ohne Mehrwert bleiben beliebt

KRANKENKASSEN Kostenexplosion für neue Arzneimittel eingedämmt. Ärzte verordnen aber weiter zu häufig neue Medikamente ohne Zusatznutzen. Kassenchef sieht Sparpotenzial von 500 Millionen Euro

BERLIN taz/dpa | Nur jeder zweite neue Arzneimittelwirkstoff weist einen Zusatznutzen für die Patienten auf. Zugleich werden solche Präparate ohne Mehrwert aber relativ häufig vom Arzt verordnet. Dies geht aus einem neuen Report der Krankenkasse DAK-Gesundheit hervor, der am Dienstag in Berlin veröffentlicht wurde.

Der ehemalige Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) hatte vor vier Jahren das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) auf den Weg gebracht. Das AMNOG regelt, dass Medikamente ein Jahr nach ihrer Markteinführung einer Nutzenbewertung unterzogen werden müssen. Die Ergebnisse fließen dann in die Preisverhandlungen zwischen Hersteller und Kasse ein: Nur Pillen, die besser wirken, dürfen auch mehr kosten.

Die Studie der DAK und der Universität Bielefeld zeigt jedoch auch: Das Volumen der verschriebenen Medikamente ohne Zusatznutzen nahm im Analysezeitraum sogar stärker zu als das der Präparate, die einen beträchtlichen Mehrnutzen haben.

„Unabhängige Informationen erreichen immer noch nur einen Bruchteil aller Ärzte“, kritisierte Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Aus eigener Erfahrung als praktizierender Arzt wisse er, dass er bis zu zehn Mal am Tag Mails mit Angeboten bekomme, für Geld neue Medikamente auszuprobieren. „Wenn ich das machte, könnte ich mir locker 700 Euro pro Tag dazuverdienen“, so der Onkologe.

Einen weiteren Kritikpunkt sehen die Studieninitiatoren darin, dass Medikamente, die vor der Einführung des Gesetzes auf den Markt gekommen waren, von der Nutzenanalyse ausgenommen wurden. „Obwohl häufig unklar ist, ob sie einen besonders guten therapeutischen Effekt haben, gelten für diese Medikamente nach Auslaufen des Patents oft noch Sonderkonditionen“, sagte Wolfgang Greiner von der Universität Bielefeld. DAK-Chef Herbert Rebscher sieht hier noch ein Einsparpotenzial für die Krankenkassen von insgesamt 500 Millionen Euro pro Jahr. ALINA LEIMBACH