Erstklässler besetzen Realschule

Kreative Zwischenlösung für Pankows Schulkrise: Eine neue Grundschule wird eröffnet – im Gebäude einer Realschule. Deren Schüler müssen sehen, wo sie bleiben. Derweil beschwert sich die Finanzverwaltung über „zu hohe Stückkosten“

Im Bezirk Pankow bahnt sich eine aparte Lösung für die Schulkrise im Ortsteil Prenzlauer Berg an. Nach monatelanger Suche haben die Behörden nun ein neues Schulgebäude für die vielen neuen Grundschüler des Bezirks gefunden – sie setzen kurzerhand die Schinkel-Realschule vor die Tür. Deren 300 Schüler müssen jetzt auf andere Schulen verteilt werden.

Dass neue Grundschulen in Prenzlauer Berg nötig sind, steht außer Frage. Wollte Schulstadträtin Lioba Zürn-Kastantowicz (SPD) dem Babyboom gerecht werden, müsste sie gleich mehrere Schulen gründen: Die Zahl der Erstklässler wird sich bis 2011 verdoppeln. Bislang passen 700 Erstklässler in neun Grundschulen – bald werden es rund um Helmholtz- und Kollwitzplatz 1.400 sein. Die neue Grundschule soll ein Schritt sein, um den Ansturm von Abc-Schützen abzufangen.

Die Freude über die neue Grundschule teilen beileibe nicht alle. „Können Sie mir sagen, wie ich mich gegen die Schließung einer Schule wehren kann?“, fragte eine Elternvertreterin der Schinkel-Schule Stadträtin Zürn-Kastantowicz beim Bezirkselternausschuss. „Denn in dieser Schule sitzt mein Sohn.“

Auch die Lehrer der Schinkelschule sind konsterniert. „Wir waren stolz darauf, dass wir den besten Wert aller Berliner Realschulen bei den Absolventen erreichten, jetzt soll Schluss sein“, sagte der Konrektor der Schule, Manfred Stange, der taz. Am Montag wird die Schulkonferenz über ihre Auflösung beraten. Zum Jahresende wird die nach Preußen-Baumeister Karl-Friedrich-Schinkel benannte Schule dann geschlossen.

Zürn-Kastantowicz begründet die Schulschließung damit, dass die Nachfrage nach Realschulplätzen zurückgeht. Tatsächlich haben weder der Bezirk noch das Land eine Antwort, wie Schüler verteilt werden sollen. In Prenzlauer Berg werden jetzt die Schuleinzugsbereiche neu geschnitten, um das Überlaufen der neun Grundschulen zu verhindern. Allerdings können Eltern ihre Kinder ohnehin jenseits der Einzugsbereiche in Schulen anmelden – vor Gericht hatten Eltern in Kreuzberg und Pankow für ihre Kinder Wunschschulen durchgesetzt. Zu Beginn dieses Schuljahres hatten Schulen sogar Lostrommeln aufgestellt und dabei Kinder aus dem Einzugsbereich nicht mehr zugelassen. Die Entscheidungen waren nach massiven Protesten zurückgenommen worden.

Dass die Schulbehörden wenig aus dem Desaster gelernt haben, zeigt sich an der Einstellung von ErzieherInnen. Zu Beginn des Schuljahres fehlten in ganz Berlin ErzieherInnen – obwohl die eine tragende Rolle beim neuen jahrgangsgemischten Schulanfang spielen sollen. Allein in Pankow wurden 30 ErzieherInnen nicht eingestellt. Die Begründung der Kultusbürokratie: geteilte Zuständigkeiten und eine neue Software.

Eine andere Behörde verlangt indes sogar, in Pankow Schulen zu schließen. In Briefen an den Bezirk beklagt der Staatssekretär von Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) „überdurchschnittliche Stückkosten“ – im „Produktbereich 0883“, der Schulträgerschaft. „Das katastrophale Rechnungsergebnis in 2006 zeigt“, so Staatsekretär Klaus Teichert in dem Brief, der der taz vorliegt, „dass auf der Kostenseite der Produkte (u. a. Kultur, Bildung, Schule) Nachbesserungsbedarf besteht“ – auf Deutsch: Schulen dichtgemacht werden müssen.

In seinem Antwortbrief macht Bezirksbürgermeister Matthias Köhne (SPD) zwar deutlich, dass „keine weiteren Schulen geschlossen werden“ – damit man in zwei Jahren dem Anstieg der Schülerzahlen ab Klasse 7 gerecht werden könne. Allerdings haben auch bei Köhne Kinder und Schüler seltsame neue Namen: „Die überdurchschnittlich hohen Stückkosten werden sich in allen Produkten der Oberschule widerspiegeln.“

Vielleicht kommt Berlin mit seinen Schülern deshalb nicht zurande, weil die Verantwortlichen der Stadt sie wie Kostenfaktoren behandeln. ROBERT CÄSAR