Die Extremismusverpoppungsstrategie

ANVERWANDLUNG Arne V. performt die Gedankenwelt von Dennis Cuspert und anderen Terrorikonen, um deren Wirken zu entschärfen. Ein etwas anderer Ansatz zur Rettung der Welt, ab heute im Theaterdiscounter

VON TOM MUSTROPH

Arne V. ist besorgt. „Die Welt wird immer gefährlicher, immer unübersichtlicher“, sagt er. Deshalb hat er sich einen Bart wachsen lassen. Er schert ihn nicht. Er trinkt auch keinen Alkohol mehr und isst kein Schweinefleisch. „Ich halte mich an die Regeln“, sagt er. Und sein Bart wippt bestätigend. Außerdem trainiert er Kampfsport. Er habe an Muskelmasse zugelegt, behauptet er. „Die Zunahme meines Körpergewichts korreliert mit den Teilnehmerzahlen der Pegida-Demonstrationen. Ich hoffe nun für meinen Körper, dass sie nicht zurückgehen“, meint er in gewagt deterministischer Verknüpfung zweier, so denken wir, eigentlich nicht verbundener Phänomene.

Intensive Einarbeitung

Arne V. ist Performer. Als ein solcher arbeitet er mit Körperpraktiken. Daher der Bart, die Abstinenz, das Kampftraining. Das ist eine physische Anverwandlung. Und er trainiert seinen Kopf. Er hat sich intensiv in die gerade aktuellen politischen, ideologischen und religiösen Extremismen eingearbeitet. „Zwei, drei Monate Vollzeitlektüre“ der diversen Blogs, YouTube-Videos, gedruckter Literatur und endloser Forumsbeiträge vermutet er selbst. Näher kann man das in seinem eigenen Blog (http://anders.internil.net/) verfolgen. Etwa die Analyse des Videos von Muadh al-Kasasbas Hinrichtung, des jordanischen Kampfpiloten, der bei lebendigem Leibe verbrannt wurde. Arne V. sieht das Video komplett – und ist beeindruckt von der radikalen Weiterentwicklung film- und videoästhetischer Mittel des westlichen Unterhaltungsbetriebs. „Es ist ein Stück post-epischen Theaters, geschrieben mit und für die globalen Medien, die es auf ihren Vertriebswegen ja erst weiterverbreiten und zu einem wuchtigen Ereignis machen“, meint er.Das ist gefährliches Terrain. Und V., der beim Rezipieren natürlich nicht unterschlägt, dass echte Menschen dieser Snuff-Videoästhetik brutal zum Opfer gefallen sind, kann sich oft nur durch eine Wahrnehmungsverschiebung retten.

„Auf einer gewissen Ebene, wirklich nicht der einzigen, ist das nichts anderes als popkulturelle Spezialisierung: Ich bewege mich in einem differenzierten medialen Unterhaltungssystem. Man kennt dort, egal ob es sich nun um Schlager, Zombiefilme oder dschihadistische Propaganda handelt, die Figuren, Funktionsweisen und Motive. Man freut sich über Wiedererkennungseffekte und Variationen.“

Der Unterschied zum alltäglichen Unterhaltungskonsum ist für V., dass er sich selbst dabei beobachtet. Und daraus bezieht er das Material seines Abends „Anders“, der bis 22. Februar im Theaterdiscounter gezeigt wird. Der bietet im Set-up eines Coaching Systems Einsteigermodule zur Terrorästhetik an. V. glaubt, den Schlüssel entdeckt zu haben, wie sich ein Normalperformer, der eben auch politischer Normalbürger ist, mit etwas linksalternativem, postmarxistischem Kolorit versehen, gut der Bedrohung durch die aktuellen Extremismen entziehen kann. Nicht durch die Staatsnummer der permanenten Überwachung, sondern durch Übernahme und Unterhöhlung des ästhetischen Vokabulars.

Bier und Revolution

„Man muss ihnen das Alleinstellungsmerkmal nehmen“, meint V. Seine schräge Hoffnung orientiert sich an der massenmedialen Vereinnahmung einst linker Symbole. Je mehr Che-Guevara-T-Shirts im Umlauf sind, je mehr Biertrinker „Get up, stand up“ grölen, desto ferner der eigentliche revolutionäre Moment, lautet die Erfahrung des letzten halben Jahrhunderts Popkultur. Nun wird das Ganze nach rechts gewendet. Sein popkulturelles Langzeitexperiment beginnt V. schon während des Gesprächs in einem Kreuzberger Café: Er ahmt plötzlich Gestik und Mimik der Protagonisten islamistischer Terrorvideos nach. Was im Kontext der Bekennerbotschaften im Netz durchaus Grauen erzeugt, wird durch diese formale Zerlegung im Making-of-Modus seiner Wirkung beraubt. Das macht Hoffnung für den gesamten Abend.

Nebeneffekt seines Projekts, man könne sich äußerlich wie innerlich radikalisieren, vom Normalbürger zum Kämpfer werden, ohne dass das Umfeld davon besonders Notiz nimmt. „Das ist ja das Typische. Später heißt es oft bei Nachbarn oder früheren Mitschülern: Also von dem hätte ich das gar nicht gedacht“, meint er. Mal sehen, wer nach „Anders“ anders von sich und seinem Nachbarn denkt.

■ „Anders“ im Theaterdiscounter, bis 22. 2., jeweils 20 Uhr