: „Wir sind alle erfolgsgeil“
COACHING Psychologe Markus Väth erklärt, warum auch Optimismus nicht vor Scheitern schützt – und warum uns das egal sein kann
■ 36, ist Psychologe, Business Coach und Autor von „Feierabend hab ich, wenn ich tot bin. Warum wir im Burnout versinken“.
INTERVIEW JANNIS CARMESIN UND PALOMA CASTRO SOLLA
taz: Herr Väth, was brauchen Menschen, die gescheitert sind?
Markus Väth: Erst mal brauchen sie Zeit. Viele Leute gönnen sich keine Pause, um sich zu sortieren, und wollen den Misserfolg verdrängen. Doch statt ihn zu leugnen, müssen sie sich ihre Fehler eingestehen und Lehren daraus ziehen. Sie müssen sich fragen: Was kann ich daraus für die Zukunft lernen? Erst danach sollten sie planen, wie sie wieder auf die Beine kommen.
Gibt es einen konkreten Punkt, an dem Menschen merken, dass sie scheitern?
Wenn etwas Drastisches passiert: Ein Projekt geht in die Hose, sie verlieren ihren Job, oder die Partnerschaft geht in die Brüche. In der Regel erkennen Menschen ihr Scheitern also durch die Reaktionen ihrer Umwelt.
Wie genau reagiert die Gesellschaft denn auf das Scheitern?
Sie ist entspannter geworden. Gerade vor der Krise war Arbeitslosigkeit immer ein Tabuthema. Inzwischen wird akzeptiert, dass Scheitern zum Leben dazugehört, besonders im Beruf.
Läuft unsere Gesellschaft heute eher Gefahr, zu scheitern, als früher?
Sie ist deswegen gefährdeter, weil wir mittlerweile alle erfolgsgeil geworden sind. In unserer komplett individualisierten Gesellschaft ist das Risiko, zu scheitern, größer geworden. Wir müssen ja überall Erfolg haben: Wir müssen erfolgreich im Job sein, wir müssen fit sein, wir müssen tolle Eltern sein. Es gibt keinen Bereich mehr, der nicht in irgendeiner Form ökonomisiert ist. Und je mehr Bereiche es gibt, in denen ich einen solchen Druck aufbaue, desto größer ist auch die Gefahr, zu scheitern.
Macht uns dieser Druck risikobereiter?
Risikobereiter sind wir nicht. Wir wollen Sicherheit oder zumindest die Illusion davon. Was ich eher feststelle, ist eine Art von Entscheidungslähmung, weil die Menschen heute viel mehr Optionen haben. Wenn der Vater früher Bauer war, dann hat der Sohn eben den Hof übernommen. Das war gar keine Frage. Die Autorin Nina Pauer schreibt in ihrem Buch, dass insbesondere junge Menschen große Probleme haben, sich zu entscheiden. Sie haben Angst davor, das falsche Leben zu leben, nicht das „perfekte Ich“ zu entwickeln. Das lähmt die Menschen. Sie haben Angst, etwas falsch zu machen.
Das klingt ja sehr pessimistisch. Ist vielleicht Optimismus die Lösung?
Nein. Man darf Optimismus nicht mit Selbstbewusstsein verwechseln. Optimisten glauben, dass Dinge einfach gut gehen. Selbstbewusstsein entwickelt sich aus positiven Erfahrungen in der Vergangenheit. Gut möglich, dass selbstbewusste Menschen weniger scheitern. Mit der Einstellung hat das aber nichts zu tun.
Es gibt Menschen, die immer wieder denselben Fehler begehen. Lernen wir eigentlich nicht aus Niederlagen?
Es gibt eine Art von Scheitern, die damit zusammenhängt, dass Menschen immer an den gleichen Glaubenssätzen festhalten, an den Programmierungen, die uns erzählen, wie das Leben läuft. Sie werden uns von unseren Eltern erst vorgelebt, und dann holen wir sie uns in den Rucksack unseres Lebens. Deswegen landet man immer wieder beim gleichen Partner. Oder ist im Büro der Depp vom Dienst. Glaubenssätze sind einem selbst unbewusst. Der erste Schritt wäre also, sich ihrer bewusst zu werden. Dann muss man sich fragen, woher sie kommen und ob sie nicht eher hinderlich sind.
Sie als Coach kennen alle Kniffe gegen das Scheitern. Sind Sie selbst davor geschützt?
Natürlich nicht. Wer sagt, er sei noch nie gescheitert, der lügt. Es gibt Probleme, die man nicht lösen kann. An denen muss man erst scheitern, um zu wachsen. Dann kann man sich überlegen: Bleibe ich auf meinem Hintern hocken, oder gehe ich weiter? Diesen Antrieb, weiterzugehen, bekommt man erst durch die Erfahrung des Scheiterns. Genau deswegen ist es so wertvoll.