: Der Privattrainer und sein Schüler
RÜHRSELIGKEITEN Borussia Mönchengladbach gewinnt humorlos 2:1 bei Hertha BSC, aber eine überragende Vorstellung von Marco Reus überschattet die hochgejazzte Rückkehr seines Trainers Lucien Favre nach Berlin
LUCIEN FAVRE ÜBER MARCO REUS
AUS BERLIN JOHANNES KOPP
Vor der Partie in Berlin musste Lucien Favre immer wieder von seiner Zeit als Trainer von Hertha BSC berichten. Erstaunlicherweise trat dabei gar etwas Neues zutage: Favre war in seinen letzten Wochen in Berlin 2009 scheinbar auch deshalb angeschlagen, weil er eine Darmoperation auf die lange Bank geschoben hatte. Auch nach der Partie am Samstag wurde dem Hinweis des Schweizers, er sei jetzt Trainer von Borussia Mönchengladbach, kaum Beachtung geschenkt. Denn nun war er vor allem als Trainer von Marco Reus gefragt. Reus erzielte beim 2:1-Sieg gegen Favres alten Klub beide Tore. Dieser Doppelschlag hinterließ vor allem deshalb eine nachhaltige Wirkung, weil er am Samstag davor gegen Hannover 96 (2:1) das gleiche Kunststück vollbracht hatte.
„Vor drei Wochen“, erinnerte Favre, „haben alle gesagt, er macht zu wenig Tore. Jetzt ist alles anders.“ Nun werden dem leichtfüßigen 22-Jährigen, der im Olympiastadion mit seiner Schöpferkraft, Vitalität und Abschlussstärke unter den Akteuren so herausstach wie ein grünes Blatt unter welkem Herbstlaub, jede Menge Lobeshymnen gewidmet – so viele wie keinem anderen deutschen Fußballprofi derzeit. Und Favre ist das ebenso wenig recht wie die harsche Kritik zuvor. Das Offensichtlichste, sein „enormes Potenzial“, räumte er ein. Aber er betonte: „Er hat noch zu lernen.“ Das provozierte nach Reus’ Leistung, die auch Hertha-Trainer Markus Babbel als „sehr gut“ einstufte, Nachfragen, die Favre nur pauschal beantwortete: „Viele Details“, sagte er und fügte verschmitzt hinzu: „Er wird das mit mir gut machen.“
Mit dieser Bemerkung verstärkte Favre ungewollt den Eindruck, als Privattrainer von Reus zu sprechen. Dabei drückte der 54-Jährige nur seine Zuversicht aus, anstelle des Bayern-München-Trainers Jupp Heynckes weiter an Reus’ Fertigkeiten feilen zu dürfen. Auch dieses Thema stand wieder einmal im Raum. Um momentan den Verbesserungsbedarf eines Marco Reus zu erkennen, bedarf es wohl des mikroskopischen Blicks eines akribischen Analysten, wie Favre oder Heynckes einer ist. Nur bei Ersterem allerdings könnte der Jungnationalspieler weiterhin von den Gladbacher Standortvorteilen profitieren.
Die Ruhe, wie Favre es immer wieder fordert, verliert man hier nicht so schnell. Reus und sein Team beherzigten diese Devise am Samstag eindrucksvoll. Die Gladbacher, deren Stürmer Mike Hanke bekannte, anfangs vom kecken Auftreten der Berliner überrascht gewesen zu sein, lenkten ihr in Unordnung geratenes Spiel nach dem frühen Rückstand durch Ramos (18.) Schritt für Schritt wieder in die vorhergesehenen Bahnen. Und ihr Hauptdarsteller, der zuletzt etliche Torchancen versemmelte, profilierte sich auf dem Rasen erneut als Ausbund an Effizienz und abseits davon als Anhänger des Stoizismus: „Ich versuche der Mannschaft zu helfen. Manchmal klappt es, manchmal weniger.“
Auch wenn die Reporter, die sich von Woche zu Woche um ihn drängen, einen immer größeren Pulk bilden, hebt Reus seine Stimme kaum an. Seinen scheuen Blick hält er meist gesenkt und die Worte klein: „Wir haben heute als Mannschaft ordentlich gespielt, aber nicht überragend. Am Ende hatten wir zu viele Ballverluste.“
Nur als es um das in der Bundesliga allzu bekannte Thema Maik Franz ging, wurde Reus etwas forscher. Der Berliner Verteidiger, dem Reus bei seinem ersten Treffer entwischen konnte, senste den Gladbacher wenige Sekunden nach Wiederanpfiff derart brutal um, als wollte er sicherstellen, dass ihn dieser nicht noch ein zweites Mal narrte. Der Gefoulte klagte nach dem Spiel: „Außerhalb des Platzes soll er ja ganz cool sein, wie ich gehört habe, aber auf dem Spielfeld scheint er abzuschalten.“ Schiedsrichter Tobias Welz ahndete diese böse Grätsche nicht einmal mit einer gelben Karte.
So intuitiv und selbstverständlich wie Reus’ Vorstellungen auch wirken mögen, seine Erfolge sind ihm im Unterschied zu den Durchstartern Mario Götze und Thomas Müller nicht in den Schoß gefallen. Zwei Zweitligalehrjahre bei RW Ahlen hat er bereits hinter sich und auch in Gladbach ist er bereits in der dritten Saison. „Er arbeitet sehr viel dafür“, bescheinigte ihm Hanke am Samstag angesichts seiner vier Torerfolge in Serie.
Lucien Favre scheint ihm ein perfekter Lehrmeister zu sein. Allzu viel Wehmut kam bei Hertha dennoch nicht auf bei der Rückkehr des alten Trainers. Das lag auch daran, dass die Gastgeber lange erfolgreich dagegen hielten. Mit einem guten Pressing, einer hochgestellten Abwehrreihe und großem kollektiven Einsatz. Mit einer Taktik, die einst Favre in Berlin einführte. Nur Reus machte eben den Unterschied aus.