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Archiv-Artikel

Slavoj, lass den Bart herab

Im Zeitalter bürokratischer Bachelor-Studiengänge kann von fröhlicher Wissenschaft keine Rede mehr sein. Wie die aussehen könnte, führte die „Lecture Performance Nacht“ im Hebbel am Ufer vor

VON MARTINA MESCHER UND ANDREAS HARTMANN

Studenten, die gerade ihr Studium beginnen, werden diese Formen von Chaos und Desorientierung, die bei der „Lecture Performance Nacht“ am Samstag im Hebbel am Ufer kultiviert wurden, wahrscheinlich nicht mehr erleben. Bachelor-Studiengänge sind keine Bastelanleitungen für akademische Selbstverwirklichungstrips mehr, sondern maßgeschneiderte Optimierungssysteme. Machen, nicht lachen! Bei der langen Nacht, in der im Rahmen des „Jahres der Geisteswisenschaften“ das Theater zum Labor für spielerische Wissensvermittlung umfunktioniert wurde, durfte dagegen die Lehre nochmals wild wuchern.

Die Veranstaltung erinnerte damit an die Themennächte, die vor Jahren noch an der Volksbühne stattfanden und wo man sich Deleuze, Foucault, der Negation und schwarzen Aliens mit den Mitteln von Kunst und Wissenschaft näherte – charmantes Scheitern dieser Versuchsreihen inklusive. Auch im HAU gab es von Ödnis bis brillant spaßiger Performances alles zu sehen und zu hören. Man musste sich eben wie früher die richtigen Seminare herauspicken.

Thomas Meinecke und der De:Bug-Redakteur Jan Joswig etwa bewiesen gemeinsam, dass auch der plaudernde Dialog unter Freunden eine akademische Technik sein kann. Man erhielt nicht nur Einblicke in umfassende Plattensammlungen, sondern es wurde die Geschichte von Mode und Style anhand bizarrer Coverinszenierungen diskutiert. Denkwürdig war zum Beispiel das Cover einer Platte von Isaac Hayes, auf dem der Soulsänger mit einem unbeschreiblichen Kettenhemd posierte, das Joswig als Verweis auf die Sklaverei interpretierte. Ohne einen Zwang zur Kohärenz wurden weitere Cover, hauptsächlich aus der auf Künstlichkeit abzielenden Discoära, mit großer Begeisterung für Camp und Kitsch präsentiert. Auch HipHop wurde durchgenommen. So sahen wir eine Plattenhülle der 2Live Crew, auf der die „Hey, we want some pussy“ rappenden Porno-Hiphopper mit heruntergelassenen Hosen und der Hand am Schritt herumgockeln. Krautrock, so erfuhren wir nebenbei auch noch, hatte stylemäßig etwas mit Glamrock zu tun. Die Lecture kam beim Publikum bestens an. Dazwischen wurde einfach auch mal eine Platte aufgelegt.

Man war Flaneur bei dieser „Lecture Performance Nacht“ und bewegte sich durch einen Themenpark. Überall passierte gleichzeitig etwas. Die Performance-Gruppe She She Pop trat in der Garderobe auf, in der Hinterbühne wurden Essen und „speech performances“ serviert, und in der Bar hielt einer einen Vortrag über Kant, der trotz Bar und Drinks dann doch wieder eher an herkömmliche Seminare erinnerte.

Prinzipiell ging es überall darum, die Distanz zwischen einerseits Kunst und Wissenschaft, Spaß und Ernst, und schließlich die Grenze zwischen „Lehrenden“ und Publikum aufzuweichen. Wobei das Theaterhafte des Formats nur bedingt aufgelöst werden konnte, weil ein wirkliches Mitmachen oder Einmischen doch kaum gefragt war.

Letztlich funktionierten manche Performances für sich, andere einfach nicht. Erstaunlich war vor allem, was die Schauspielerin Eva Löbau, der Schauspieler Yuri Englert und der Sänger Kristof Schreuf unter Leitung von Angela Richter aus dem performativen Vortrag einer Rede von Slavoj Žižek herausholten. Löbau klebte sich einen Žižek-Bart um, Englert war der schweigende Lacan und Schreuf trug zum Inhalt der Rede korrespondierende Popsongs vor. Der Unterhaltungsfaktor von Lenin und Stalin als Teil einer so schlauen wie irrsinnigen Žižek-Rede wurde so spielerisch affirmiert, und man trug Wissen mit nach Hause.

Zum Schluss, kurz vor der Zeitumstellung, fasste eine Hybridform aus Lesung und Probe in Form eines Scheindialogs zwischen René Pollesch und Sophie Rois nochmals den ganzen Abend zusammen. Es ging um Gentechnik, Biopolitik, die verkorksten Verhältnisse in zwischenmenschlichen Beziehungen und Liebe zu einem Schimpansen, aber auch um Donna Haraway, also um alles Mögliche. Bis plötzlich abgebrochen wurde. Mitten im Vortrag. Typisch Uni: Scheiße, der Text ist doch noch nicht fertig geworden.