piwik no script img

Archiv-Artikel

Bartóks karpatische Klänge

REGIONALE IDENTITÄT Das Hamburger Ensemble Resonanz präsentiert gemeinsam mit der Bratschistin Tabea Zimmermann Komponisten, die Volksweisen aus Böhmen und Transsilvanien zu Kunstmusik verarbeiteten

Ein zwischen Orient und Okzident changierender transsilvanischer Klangteppich

VON PETRA SCHELLEN

Schon der Titel des Abends ist Musik in des Romantikers Ohren: Transsilvanien. Klingt geheimnisvoller und vor allem unpolitischer als „Siebenbürgen“, das stets ein bisschen an das grausame Regime und Ende des rumänischen Staatschefs Nicolae Ceauşescu erinnert – und davon soll das kommende Konzert des Ensemble Resonanz ja nicht handeln.

Auch nicht von Graf Dracula. Denn der Abend ist mit „Seele“ überschrieben und will Tiefenbohrungen unternehmen, nach der musikalischen Identität der Karpatenregion Transsilvanien suchen. Die stand nie im Zentrum der musikalischen Landkarte und gilt im Westen eher als Randeuropa.

Aber das stimmt nicht; Böhmen und Siebenbürgen, aus denen die Komponisten kommen, deren Werke das Ensemble und die Bratschistin Tabea Zimmermann spielen, liegen mitten in Europa – wenn auch jenseits des einstigen Eisernen Vorhangs. Und so diktatorisch die Abgrenzung der Ex-Ostblock-Staaten vom Westen auch war, eins boten diese realsozialistischen Regime: die Förderung der Volksmusik, eines leicht kontrollierbaren Vehikels regionaler Identität.

Und so findet sich auch in Siebenbürgen, einst ungarisch und heute rumänisch, noch manches Lied, das der Westen längst vergaß. Den Grundstock haben im 19. Jahrhundert allerdings die ungarischen Komponisten Béla Bartók und Zoltán Kodály gelegt, als sie mit Aufnahmegeräten herumreisten, um Bauern und Hirten ihre Gesänge abzulauschen. Über 3.000 Melodien hat jeder der beiden notiert und – einschließlich der asymmetrischen Tonarten und Rhythmen – in seine Kunstmusik eingebaut.

Von dieser musikalischen Rezeption handelt nun das Konzert, das nicht nur Bartók, Kodály, Ligeti sowie den ungarischstämmigen Israeli Ödön Partos präsentiert, sondern mit Johann Baptist Vanhal und Antonin Dvořak auch zwei böhmische Komponisten. Ihre Werke stehen am Anfang und Ende des Abends, der sich so als musikalische Reise von Böhmen nach Transsilvanien und zurück entpuppt.

„Mich fasziniert der ganz eigene Klang dieser Region, deren musikalische Identität wir ausleuchten wollen“, sagt Ensemblechef Tobias Rempe, der nur schwer in Worte fassen kann, worin das Faszinosum dieses regionstypischen Klangs eigentlich besteht.

Nun kann man fragen, ob Bartók und Kodály wirklich so edel waren, als sie all diese Weisen sammelten, um einen „Nationalstil“ zu orten. „Ich weiß nicht, ob Bartók und Kodály die Lieder gesammelt haben, um die Volksmusik zu dokumentieren oder eher aus eigenem Interesse“, sagt Rempe. Aber das störe ihn nicht; immerhin sei die Volksmusik wertvolle Inspiration gewesen.

Eine Praxis, die man auch als kolonialistische Aneignung auffassen kann, die zudem den Zeitgeist traf: Der Untertitel „A la Ungarese“ („Auf ungarische Art“) – sei für Komponisten des 19. Jahrhunderts eine gut funktionierende Vermarktungsstrategie gewesen, sagt Rempe.

Entsprechend oberflächlich mag die Rezeption ausgefallen sein. Denn dass das Publikum die existenzielle Tiefe, die Not und Religiosität der Hirten- und Bauerngesänge wirklich begriff, ist fraglich. Manch ein Zuhörer könne derlei durchaus als Exoticum geschätzt und eine eher zoologische Sicht gepflegt haben. Die betrauten Orchestermusiker allerdings waren zur ganz konkreten Aneignung gezwungen – und scheiterten zunächst an den ungeraden, schwer zu haltenden Rhythmen.

Inzwischen spielen sie sie längst, aber trotzdem bleibt Kunstmusik „à la Folklore“ immer Collage: Sie bettet ein, relativiert, schleift disharmonische Kanten ab, kurz: passt den Klang dem Ohr des zivilisationsverwöhnten Hörers an. Deshalb bleibt der Verdienst komponierender Volkslied-Sammler stets ambivalent: Einerseits konservieren sie Zeugnisse einer bis dato mündlichen Tradition, andererseits schaffen sie einen Klang, der dem rauen Original nur bedingt entspricht und also kein authentischer Spiegel regionaler Identität sein kann.

Vergebens ist die Mühe des Aufführens und Lauschens trotzdem nicht: Auch die zur Kunstmusik verfremdeten „Alten ungarischen Gesellschaftstänze“ eines Ligeti offenbaren den zwischen Orient und Okzident changierenden Klangteppich, in den türkische, ungarisch-rumänische, Sinti- und Roma-Weisen gewebt wurden. Das wiederum ist eine politische Aussage, die nicht nur für die auf acht Länder verteilten Karpaten gilt: Multiethnisch bedeutet auch kulturell eine weit stärkere Befruchtung als ethnische Homogenität.

„Seele – Resonanzen vier mit Tabea Zimmermann“: Fr, 27. 2., 20 Uhr, Laeiszhalle, Kleiner Saal