: „Manche sahen es als Überlebenstaktik“
Mit Sex-Zwangsarbeit in Konzentrationslagern befasst sich die heute eröffnende Ausstellung in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Konzipiert wurde sie in Ravensbrück. Deren Leiterin Insa Eschebach erklärt, wie die Nazis versuchten, Häftlinge durch Bordellbesuche zu höherer Arbeitsleistung zu bewegen
INSA ESCHEBACH, 52, Religionswissenschaftlerin und Historikerin, leitet seit 2005 die Gedenkstätte Ravensbrück.
INTERVIEW PETRA SCHELLEN
taz: Frau Eschebach, erzählt Ihre Ausstellung etwas komplett Neues?
Insa Eschebach: Ja, wenn es auch Vorläufer gab: Die erste Ausstellung zum Thema war in Wien, im Jahr 2006 dann in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen zu sehen. Weil nun diese Zwangsprostituierten zum größten Teil im Frauen-KZ Ravensbrück rekrutiert worden waren, haben wir diese Schau nach Ravensbrück geholt. Wir haben sie überarbeitet und um zahlreiche Materialien ergänzt. In dieser Form wird sie jetzt auch in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme zu sehen sein.
Weil auch in Neuengamme ein Bordell existierte?
Ja. Wir stellen alle zehn KZ vor, in denen es Bordelle gab. Das betrifft die Lager Mauthausen, Gusen, Buchenwald, Flossenbürg, Auschwitz-Stammlager, Auschwitz-Monowitz, Neuengamme, Dachau, Sachsenhausen und Mittelbau-Dora.
Und Ihre Ausstellung präsentiert neue Details – oder trägt sie bloß zusammen, was man fragmentarisch ohnehin schon wusste?
Sagen wir: Man hätte es wissen können. Eugen Kogon hat in seinem bereits 1946 veröffentlichten Buch „Der SS-Staat“ über die Bordelle berichtet. Zum Thema wurde die Zwangsprostitution in Deutschland allerdings erst in den neunziger Jahren.
Warum gab es gerade in den eben erwähnten Konzentrationslagern Bordelle?
Weil es große Lager mit vielen männlichen Häftlingen waren. Die Bordelle waren Teil eines Prämiensystems, das Anreize zu einer erhöhten Arbeitsleistung bieten sollte. Die SS gaben also Prämienscheine aus, von denen die Häftlinge Nahrung, Zigaretten oder einen Bordellbesuch kaufen konnten.
Wer durfte diese Bordelle besuchen?
Jüdische und sowjetische Häftlinge definitiv nicht. Die waren vom Prämiensystem ausgeschlossen. Das galt ausschließlich für arische Häftlinge, die an privilegierten Orten arbeiteten.
Das heißt?
Die Welt der Konzentrationslager war ja extrem hierarchisch strukturiert; es gab „gute“ und „schlechte“ Kommandos. In letzteren musste schwere körperliche Arbeit geleistet werden: Erdarbeiten, Straßen bauen, in Steinbrüchen oder – wie in Neuengamme – im Klinkerwerk arbeiten. Wer dagegen in einer warmen Schreibstube eingesetzt war, hatte es schon besser. Auch die Funktionshäftlinge zählten zu den Privilegierten.
Wofür waren sie zuständig?
Sie waren – etwa als Blockälteste oder Kapos – anderen Häftlingsgruppen übergeordnet. Sie achteten darauf, dass die anderen zum Appell antraten und dass die Ordnung im Lager funktionierte. Da sie von der SS eingesetzt waren und in gewissem Grad kooperieren mussten, war ihre Stellung ambivalent. Sie hatten reale Macht über andere Häftlinge.
Gab es auch eine Hierarchie unter den Bordellbesuchern? Spezielle Bordelle für die SS zum Beispiel?
Davon ist in der Literatur häufig die Rede – auch davon, dass es hier in Ravensbrück ein Bordell speziell für SS-Männer gegeben habe. Wir können dessen Existenz aber nicht nachweisen. In Buchenwald hat es indes nachweislich ein kleines Bordell für ukrainische SS-Männer gegeben. Für deutsche SS-Leute war der Besuch eines Häftlingsbordells nicht vorgesehen.
Reden wir von den Opfern: Wie viele Frauen arbeiteten in KZ als Zwangsprostituierte?
Mein Mitarbeiter Robert Sommer, der gerade eine Dissertation zu diesem Thema erarbeitet, spricht von 200 bis 220 Frauen insgesamt.
Anhand welcher Kriterien wurden die Frauen ausgesucht?
Jüdinnen waren unseres Wissens nicht darunter; das hätte der NS-Rassenideologie widersprochen. Bis ins Detail ist das noch nicht erforscht, aber es wurden vorwiegend jüngere Frauen ausgesucht, die dann eine Zusatzversorgung erhielten: Sie bekamen Verpflegung aus der SS-Küche und ihnen stand eine Höhensonne zur Verfügung, um ihren körperlichen Zustand zu verbessern. Man hat den Frauen versprochen, sie nach sechs Monaten zu entlassen. Manche mögen das als Überlebensstrategie gesehen haben. Von Mithäftlingen wissen wir allerdings, dass etliche dieser Frauen keineswegs freigelassen, sondern ruiniert, mit Geschlechtskrankheiten, teils auch Schwangerschaften zurück nach Ravensbrück gebracht wurden.
In Ihrer Ankündigung steht, die Ausstellung zeige „Organisation und Funktion der Bordelle aus SS-Sicht“. Ergreifen Sie Partei für die Täter?
Nein. Wir arbeiten mit einem multiperspektivischen Ansatz und lassen verschiedene Seiten zu Wort kommen. In unserer Ausstellung spielt zum Beispiel Sprache eine zentrale Rolle. Wir zeigen Dokumente, in denen sich die SS selbst entlarvt, in denen sie etwa davon spricht, dass „die Weiber zugeführt“ werden. Auf der anderen Seite stehen die Stimmen von Überlebenden, die über Mithäftlinge sprechen, die als Zwangsprostituierte arbeiteten. Fotos zeigen wir übrigens fast keine. Und selbst wenn wir Bilder der malträtierten Frauen hätten, würden wir sie nicht zeigen. Wir wollen keinen Voyeurismus bedienen.
Was war nach dem Krieg der Grund für das Schweigen der Betroffenen? Etliche von ihnen haben gar nicht erst Haftentschädigung beantragt.
Erstens galt sexualisierte Gewalt lange nicht als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Zweitens waren etliche Betroffene als so genannte „Asoziale“ inhaftiert und hatten nach 1945 keinen Anspruch auf Entschädigung. Hinzu kommt, dass Zwangsprostitution ein jahrzehntelang tabuisiertes Thema war und schon gar nicht Betroffene gern darüber sprachen. Dass Zwangsprostitution in den neunziger Jahren zu einem öffentlich diskutierten und politischen Thema geworden ist, hat nicht zuletzt auch mit der damals in Asien begonnenen Debatte um die „comfort women“ zu tun. Mit jenen Frauen also, die die japanische Armee in Soldatenbordelle gezwungen hat. Erst hierdurch ist Zwangsprostitution weltweit zum Thema geworden.
Die Ausstellung ist bis zum 18. 1. 2008 in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme zu sehen. Eröffnung am heutigen Mittwoch um 16 Uhr.