Antje rennt

Schwärmen für Schauspielerinnen (4 und Schluss): Als Kind spielte sie die Hexe, und andere fürchteten sich. Da hat es sie gepackt, sagt Antje Widdra

„Es ist befreiend, die Figuren das sagen zu lassen, was man sich allein nicht zu sagen traut“, sagt Antje Widdra über ihre Arbeit

VON RENÉ HAMANN

Darf ich vorstellen: Antje Widdra, Schauspielerin. Mit 1,79 m relativ groß, naturrote, ins Braune gehende Haare, ein sehr schöner Mund, eine gerade Stimme. Sanft, aber deutlich, was sie fürs Synchronsprechen qualifiziert, was sie auch sehr oft tut. Eine sanfte, aber nachdrückliche Präsenz, die nicht nur in ihrer Stimme liegt.

Antje Widdra ist waschechte Berlinerin und auch wieder nicht, denn geboren wurde sie in Bad Saarow in Brandenburg, das liegt auf der Strecke zwischen Berlin und Frankfurt (Oder). Sie wuchs also in der DDR auf, seit 1982 in Köpenick, als Tochter einer Bankkauffrau, später Hausfrau, mit einem Stiefvater, der erst Mechaniker war und dann Schlafwagenschaffner. „Ich bin dankbar für diesen Background. Der ist so bodenständig und berlinerisch“, sagt Frau Widdra, die also nicht nur aus dem Osten kommt, sondern auch aus eher einfachen Verhältnissen, was für sie und ihre Karriere aber anscheinend keinen Unterschied macht. Sie ist einfach ein schönes Gegenbeispiel.

Ein Beispiel dafür, dass man nicht aus einem künstlerischen Haushalt kommen muss, um etwas Künstlerisches zu machen; ein Beispiel dafür, dass es Kinder aus mittleren und unteren Schichten gewiss schwerer haben als solche aus oberen, es aber trotzdem schaffen können. Wobei Frau Widdra, deren Geburtsjahr je nach Quelle 1974 oder 1975 ist, einen Stolz für ihre Herkunft pflegt, aber abstreitet, dass diese Herkunft wirklich Unterschiede macht.

Dabei hatte alles recht früh angefangen. Auch in der preußisch-protestantisch bestimmten DDR gab es die Möglichkeit, in Rollen und Verkleidungen zu schlüpfen. „Ich war ein Kind der DDR“, gibt sie zu. „Ich habe für mich die Tochter von Erich Honecker gespielt und habe imaginäre Paraden abgenommen.“ So kam es auch, dass sie sich als kleines Mädchen zum Fasching als Hexe kostümierte: „Ich war so überzeugend, dass alle Kinder vor mir weggerannt sind. Das war das erste Mal, dass ich mit diesem Beruf Berührung hatte. Es hat mich gepackt, ich wollte überzeugend sein in der Figur, und gleichzeitig war es schauderhaft, weil die anderen Angst vor mir hatten.“

Folgerichtig begann sie nach der Schule eine Ausbildung in Leipzig, an der Bartholdy-Hochschule für Musik und Theater, eine „eher handwerklich orientierte“ Schule, wie sie sagt. „Man lernte die Grundlagen, Atem halten, den Körper beherrschen.“ Nach dem Abschluss 1997 spielte sie viel Theater in Weimar und Dresden, kehrte irgendwann nach Berlin zurück (eines Mannes wegen) und bekam die ersten Fernsehrollen in Krimis, so in der „SoKo Leipzig“ und später auch in einem Tatort. Jetzt wohnt sie halb in München (eines neuen Mannes wegen, einem Kameramann, mit dem sie zusammenlebt und manchmal auch arbeitet) und halb in Berlin, in Kreuzberg 61 am Chamissoplatz. Um noch mehr als einen Koffer in der Heimat zu haben, nämlich eine Wohnung. Was sie sich auch leisten kann.

Als ich sie frage, auf welcher Stufe sie gerade stünde, so karrieremäßig, sagt sie: „Kurz vorm Erfolg“ und lacht, dann beugt sie sich zum Diktiergerät herunter und flüstert: „Nein, nein, löschen!“ Dabei war sie tatsächlich sehr fleißig in diesem Jahr. Sie hat eine Hauptrolle in einer Fernsehserie gespielt („Der Lehrer“, RTL), danach einen Studentenfilm („Ein einfaches Bedürfnis“), ebenfalls Hauptrolle, und dann einen Kinofilm („Selbstgespräche“, eine Geißinger-Produktion). Im Prinzip könnte sie also zufrieden sein, es geht weiter aufwärts, die Resonanz, die Kritiken sind gut, und vielleicht springen bald auch noch mehr entscheidende Rollen raus.

Allerdings strahlt sie immer noch eine Unsicherheit aus, oder besser: Sie hat eine strahlende Unsicherheit, etwas, das sie greifbar und begreifbar macht. Ein, wie sie sagt, Unzufriedensein, das keine Verbissenheit ist, aber ein Antrieb. „Der Beruf ist auch sehr glücksabhängig. Es gibt nicht den großen Durchbruch“, sagt sie. „Vielleicht, wenn man einen Film macht und den goldenen Bären bekommt. Worum es mir aber eher geht ist, voranzukommen. Zufriedener zu sein, weniger zu zweifeln, mehr Spaß am Beruf zu haben. Und vier, fünf Filme im Jahr machen, das fände ich super.“

Wobei sie im Grunde lieber Theater macht. Das Deutsche Theater in Berlin mit Ulrich Mühe, das war für sie als junge Frau „der Olymp“. Dagegen stehen einsame Nächte in seelenlosen Hotelzimmern nach Drehschluss, mit „einem Biokartoffelsalat und ein paar Reiskräckern“, wie sie sagt, statt sich allein unten ins Restaurant zu setzen. Die Einsamkeit einer Schauspielerin. Und das Aufgehen in der Arbeit. „Es ist befreiend, die Figuren das sagen zu lassen, was man sich allein nicht zu sagen traut.“ Und von innen fühlt sich alles anders an als von außen. Klassenbewusstsein, soziale Fragen, das sind Maßstäbe, die von anderen kommen. Auch mit Cinephilie, mit der Leidenschaft fürs Kino, besonders hinsichtlich einer Rückübertragung vom Film aufs Leben, weiß Antje Widdra nicht viel anzufangen. Die Recherche für eine Figur ist immer eine der Praxis. Sprich: Muss sie eine Ärztin spielen, wird sie sich keine Krankenhausserien anschauen oder „Persona“ von Bergman, sondern reale Ärztinnen in echten Krankenhäusern. Und nicht kopieren, sondern sich einfühlen. „Durch Nachmachen kommst du nicht an den Kern einer Figur“, sagt sie.

Das Leben ist eben kein Film, und der Film ist nicht das Leben. Logisch, eigentlich. Aber irgendwie auch schade.