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Archiv-Artikel

Das Gleißen der Sozialwohnbauten

Die Bewohner aber brauchen Schatten: Mit Pedro Costas Filmen eröffnet eine Reihe portugiesisches Kino im Arsenal

Portugal ist ein kleines Land im äußersten Südwesten von Europa. Jahrhundertelang war es eher auf die Meere hin ausgerichtet als auf den Kontinent. Die koloniale Vergangenheit zeigt sich bis heute in den Vierteln, in denen Menschen zum Beispiel von den Kapverdischen Inseln leben, wie in Fontainhas. Dort drehte der Filmemacher Pedro Costa vor acht Jahren „No quarto do Vanda“. Der Stadtverwaltung von Lissabon war das verwinkelte Areal, in dem Menschen wie Vanda in ihrer Drogensucht vor sich hin dämmerten, ein Dorn im Auge. Sie plante stattdessen ein neues Quartier in strahlend heller Formgebung.

Diese Gebäude stehen nun, neben Vanda, der Protagonistin von damals, im Zentrum des Films „Juventude em Marcha“ („Colossal Youth“), mit dem das Arsenal heute um 19 Uhr, in Anwesenheit des Regisseurs, eine Reihe mit neuen portugiesischen Filmen eröffnet. Pedro Costa ist dabei zweifellos der international erfolgreichste Vertreter des Kinos aus diesem Land, neben Manoel de Oliveira, dessen Kolumbus-Film „Cristovao Colombo – O Enigma“ übrigens ebenfalls heute eine Portugal-Reihe im Zeughaus-Kino eröffnet. „Juventude em Marcha“ ist, wie schon „No quarto do Vanda“, digital gedreht und beruht auf einem extrem hohen Drehverhältnis. Das Gleißen der neuen Sozialwohnbauten ist für Costa dabei so etwas wie das Leitmotiv – es steht in bezeichnendem Gegensatz zu der Lebenswelt der Bewohner, die mit Vorhängen das Halbdunkel wieder herzustellen versuchen, das sie gewohnt sind.

Vanda hat ihre frühere Heroinsucht überwunden, ist aber immer noch gezeichnet von den Gefährdungen, denen sie sich früher ausgesetzt hat. Ventura ist der Wanderer zwischen den Welten, er streift durch die Reste des alten Viertels, sitzt in muffigen Räumen, spielt Karten oder trägt einem jungen Mann einen Liebesbrief vor, den er vor Jahren einmal an Clothilde geschrieben hatte, die ihn nun nicht mehr will. Ventura soll auch in die neuen Quartiere ziehen, aber er zögert, weil er nicht weiß, ob dort genug Platz für seine „Kinder“ ist – wobei diese Kinder augenscheinlich alle Menschen im Viertel sind, die seinen Weg kreuzen und ihm von ihren Schmerzen erzählen. Ventura ist der unentwegt registrierende Zeuge einer Welt, die auf der Schwelle zwischen Leben und Tod zu bestehen scheint.

Die „kolossale Jugend“, von der im Titel die Rede ist, durchläuft einen frühen Alterungsprozess, der weit über die Individuen hinaus eine ganze Gesellschaft ergreift. Pedro Costas Methode ist dabei nicht unumstritten, denn bei aller Zuneigung, die er zweifellos zu den Figuren hat, unterwirft er sie doch einem strengen Regime. Viele seiner Einstellungen gehorchen einem Kunstwillen, wenn sie nicht überhaupt Gemälden nachempfunden sind. Der Filmhistoriker Tag Gallagher schrieb über das Licht von Vermeer, das er in der Digital-Noir-Ästhetik der Fontainhas-Filme wiedererkannte.

Neun Filme aus Portugal zeigt das Arsenal, darunter auch den Episodenfilm „O estado do mundo“ („Der Zustand der Welt“), zu dem Pedro Costa einen Beitrag über „Tarrafal“ gestaltet hat: So heißt ein Gefängnis auf den Kapverden, das 1936 errichtet wurde und während der Diktatur in Portugal als eine Art Guantanamo fungierte – ein Ort, an dem Regimegegner gefangengehalten und gefoltert wurden. Die sichtbaren und untergründigen Linien der portugiesischen Geschichte bilden bei Pedro Costa ein phantasmatisches Netz, das sich über die alltägliche Wahrnehmung legt. BERT REBHANDL

Neues Kino aus Portugal, im Arsenal bis 18. November