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Archiv-Artikel

Seid gut zu Vögeln!

STADTARCHITEKTUR Ornithologie, Tierschutz und Kunstaktion: Der opulent aufgemachte Bildband „Morgenvogel Real Estate“

Wo soll ein Spatz am Kanzleramt brüten, der die Nähe zu Angela Merkel sucht?

VON ANNE-SOPHIE BALZER

Nein, man hat es hier nicht mit einem Werbekatalog zu tun, der erste Eindruck trügt. Denn diese Häuschen, die an Baumstämmen und in Astgabeln hängen, gestaltet im „finnischen Vogelhaus-Design mit strengen Nabu-Normen “ – wieso sollten nicht auch Vögel von der skandinavischen Eleganz profitieren –, sind schon längst verkauft. Gekauft von Vogelfreunden in und um Berlin. Bewohnt von Meisen, Spatzen, Kleibern, Trauerschnäppern und Staren.

Das Verhältnis von Architektur und Vögeln ist das Thema des Bandes „Morgenvogel Real Estate“ und der gleichnamigen „der Kunst verschriebenen Berliner Immobilienfirma, die einen schwunghaften Handel mit Vogelhäusern betreibt“. Ziel dieses ornithologischen Kunstprojekts ist es, gefiederten Berlin-Bewohnern überdachte Schutzhöhlen gratis zur Verfügung zu stellen, den Mieterschutzbund freut das sehr.

Alltag in der Moderne

Denn die städtische Architektur ist äußerst vogelfeindlich. Wo soll denn eine Schwalbe am Jüdischen Museum von Libeskind einen kleinen Vorsprung zum Nestbau finden? Oder bei den Glasmonstern am Potsdamer Platz? Und wo würde ein Spatz wohl am Bundeskanzleramt brüten, der die Nähe zu Angela Merkel suchen möchte? Solche Fragen des Zusammenlebens zwischen Mensch und Tier im Stadtraum treiben die Autoren Manuel Bonik und Maria-Leena Räihälä um. Man lernt allerlei über Vögel aus diesem Buch, das sich nicht so recht zwischen Coffee-Table-Accessoire und Lehrbuch entscheiden kann. Und das soll offenbar auch genau so sein. Die Seiten werden nicht nur von Brillenpelikanen, Silberschnäbeln und Haubenlerchen bevölkert, sondern auch von ulkigen Zeichnungen, „Flugübungen“ genannt, und den Vogelhäuschen.

„Am Anfang war das kosmische Ei, dann kam der Morgenvogel, und dann gaben sich Maria und Manuel einen dicken Kuss, und das Ei, das dabei herauskam, war: Morgenvogel Real Estate.“ Klingt ja unausweichlich, dieser Gründungsepos. Mit dem finnischen Kalevala beginnt auch das Buch: Eine Urente brütet im Meer auf dem Knie der Wassermutter. Als es die Meeresgötting am Knie juckte und sie sich in der kosmischen Badewanne einmal umherwälzte, zerbarst das Urentenei und wurde zu Meer, Himmel und Erde. Der ganze finnische Nationalmythos hat 22.795 Verse, für den Morgenvogel wurde jedoch nur jener Teil mit Vogelinhalt ausgewählt.

Am schönsten beschreibt den Sinn des Buchs eine Stelle aus Helmut Höges Text zum Nestbau verschiedener Vogelarten, etwa den australisch-papuanischen Laubvögeln: „Dann wird ein Stöckchen zu einem Pinsel umgearbeitet, mit dem sie den blauen Saft einer zerquetschten Beere im Innenraum verstreichen.“ Und weiter unten heißt es: „Dieses Kunstwerk gibt den Befürwortern einer Trennung von Natur und Kultur schon lange zu denken.“ Vielleicht geht es darum ja auch in diesem Band, hier die Kulturschaffenden, da der Naturschutzbund. Wieso alleine vor sich hin schaffen, wenn sich die Interessen treffen?

Höge fabuliert außerordentlich angetan über die kreativen Brutideen von Rotschnabelbaumhopfen, Stadttauben und Austernfischer: „Nun gibt es unter vielen Vögeln kaum etwas, das mehr Sexappeal ausstrahlt als der Nestbau“ oder „Die Krähen beteiligen sich am Nestbau […] und ernähren die brütenden Weibchen, danach ziehen sie mit ihnen gemeinsam die Jungen groß. Diese Idee war einst superfortschrittlich. Die Menschen taten es ihnen später quasi nach.“

Man schmunzelt und macht eine Notiz: Bei Schreibblockade unbedingt den Reichholf und Dröscher ausleihen. Eigentlich ist der Band eine Dokumentation über alles, was schon organisiert und veranstaltet wurde von Bonik, Räihälä und ihren Helfern. Natürlich macht das Buch Werbung für ihr Projekt der Vogelhäuser im „finnischen Vogelhaus-Design“. Am Ende bleibt der Eindruck: Jetzt haben wir so ein schönes Festival gemacht, dann sollten wir das aber auch in Buchform verewigen. Das ist den beiden Autoren gelungen.

■ Manuel Bonik, Maria Leena Räihälä: „Morgen Vogel Real Estate“. Gegenstalt Verlag Berlin 2014, 104 Seiten, 67 Euro