: Affront gegen Minister Gnadenlos
Wohlfahrtsverbände in Niedersachsen ziehen sich aus Härtefallkommission zurück
HANNOVER taz ■ Kirchen, Flüchtlingsverbände und Opposition hatten Uwe Schünemann wegen seiner Flüchtlingspolitik immer wieder als „Minister Gnadenlos“ angegriffen. Am Mittwoch musste Niedersachsens CDU-Innenminister überrascht aus der Zeitung erfahren, dass die Wohlfahrtsverbände ihren Rückzug aus der Härtefallkommission des Landes angekündigt hatten. Ein Affront.
Bei den Statuten der Kommission sei es Schünemann „überwiegend um die Abwehr von Härtefällen“ gegangen, nicht aber darum, Gnade vor Recht für geduldete Flüchtlinge gelten zu lassen, begründete Günter Famulla, Vorsitzender des Paritätischen Niedersachsen, die Aufgabe seines Amtes. Im ersten Jahr ihres Bestehens hatte die Kommission neun Fälle behandelt, davon fünf positiv entschieden.
Das sei viel zu wenig, befinden die Wohlfahrtsverbände. Die Verordnung, nach der die Kommission über von Abschiebung bedrohte Flüchtlinge urteilt, müsse „an zentralen Stellen korrigiert“ werden. Auf Grundlage des Zuwanderungsgesetzes sind seit 2005 in allen Bundesländern Härtefallverordnungen in Kraft getreten, die ausreisepflichtigen Ausländern aus humanitären Gründen zu einem Aufenthaltstitel verhelfen können. Gnade vor Recht ist das Prinzip vieler Kommissionen.
Das achtköpfige Gremium in Niedersachsen, das seit September 2006 arbeitet, ist aber nach Ansicht vieler Kritiker eine Alibi-Veranstaltung. Es sei „Sippenhaftung“, wenn Fälle zur Beratung abgelehnt würden, wenn bei einem Familienmitglied formale Ausschlussgründe vorliegen, kritisierten die Wohlfahrtsverbände. „Kafkaesk“ sei das Härtefallverfahren zwischen Harz und Heide, schimpfen die Grünen. Der Vorgang sei „bezeichnend für die gnadenlose Kälte der Ausländerpolitik der Regierung Wulff“, wütet die SPD. In knapp drei Monaten finden in Niedersachsen Wahlen statt.
„Neun Fälle – da reibt man sich verwundert die Augen“, sagt Stefan Keßler, Härtefall-Experte beim Jesuiten-Flüchtlingsdienst in Berlin. Allein die dortige Kommission habe im vergangenen Jahr 400 Einzelschicksale behandelt. Auch CDU-regierte Länder wie Nordrhein-Westfalen weisen höhere Zahlen auf. Niedersachsens Statuten schließen für Keßler „viele Fälle aus, für die eine Härtefallkomission eigentlich da wäre“. Die vielen Gründe, die ein Ersuchen bei dem Gremium verhindern, hält er für „unnötig restriktiv“. Betroffen war auch ein Kurde, der seit 20 Jahren in Deutschland lebt, aber vorbestraft war – ein Ausschlussgrund. Er hatte einen Strafbefehl erhalten, weil er zwar fachkundig ein Tier geschlachtet, aber keinen Veterinär hinzugezogen hatte.
Minister Schünemann betont, seine Verordnung gleiche der in anderen Bundesländern. Zudem hätten 2.400 Flüchtlinge keine Gnade vor der Kommission ersucht, weil sie von der Bleiberechtsregelung aus dem Jahr 2006 profitiert hätten. Kai Weber vom Land-Flüchtlingsrat sieht das anders: Der Innenminister habe eine „Zusammenschau aller restriktiven Regelungen vorgenommen, die es gibt“.
KAI SCHÖNEBERG